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Vogelgrippe: Asien droht
den Kampf zu verlieren

WHO warnt zugleich aber vor überzogenen Ängsten

Manila/Genf (dpa). Asien kämpft seit 2003 mit der Vogelgrippe, und nun steht sie auch an der Türschwelle Europas. Die Länder haben jedoch sehr unterschiedliche Waffen zum Einsatz gegen das Virus. Asien ist nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dabei, den Kampf gegen die Vogelgrippe zu verlieren.

»Alle Versuche, sie in Südostasien auszumerzen und unter Kontrolle zu bringen, sind fehlgeschlagen«, sagte der WHO-Direktor für die Region West-Pazifik, Shigeru Omi, am Freitag in der philippinischen Hauptstadt Manila. »Ihre Ausbreitung ist nun gewaltig und reicht von Südostasien bis hin an die Türschwelle Europas.« Man habe viel mehr Schlachten gegen die Viruskrankheit verloren als gewonnen.
Zugleich warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Europa vor überzogenen Ängsten in Bezug aus eine Ausbreitung der Erreger unter Menschen. »Wir stehen absolut nicht am Beginn einer Vogelgrippe-Pandemie für den Menschen«, sagte der für Europa zuständige WHO-Experte Roberto Bertollini in Rom. Auch der Nachweis des gefährlichen Vogelvirus-Typs H5N1 in Geflügel im asiatischen Teil der Türkei mache »keine Änderung der Strategie (zur Bekämpfung) notwendig«, fügte er hinzu.
An ihrem Hauptsitz in Genf verwies die WHO darauf, dass die Ausbreitung des Virus zwar Besorgnis erregend sei. »Jedoch zeigen alle bisherigen zur Verfügung stehenden Daten, dass der H5N1-Virus nicht einfach von Vögeln auf Menschen zu übertragen ist«, heißt es in einer am Donnerstagabend veröffentlichten Erklärung. Zur Vorsicht sollten Grippesymptome beachtet werden, da diese auch bei einer H5N1-Infektion aufträten. »Falscher Alarm ist wahrscheinlich.« Die Warnstufe der WHO für eine Pandemie bleibe unverändert. Reisende sollten den Kontakt mit toten oder lebenden Vögeln meiden. Gekocht ist ihr Fleisch aber unbedenklich.
Seit Ausbruch der Vogelgrippe Ende 2003 wurden in Asien mehrere zehn Millionen Stück Federvieh aus Vorsorgegründen notgeschlachtet oder verendeten. In Ländern, in denen Menschen sehr eng mit Geflügel zusammenleben, sind seit Ende 2003 laut WHO 120 Menschen erkrankt und mehr als 60 davon gestorben. Indonesien war im Sommer das vierte Land Asiens, in dem Menschen dem Virus H5N1 zum Opfer fielen. Zuvor hatte es bereits in Vietnam, Thailand und Kambodscha Tote gegeben.
Insbesondere in Südostasien leben Enten, Hühner, Schweine und Menschen oft auf engstem Raum. Außerhalb der Zentren größerer Städte ist es in zahlreichen Ländern der Region üblich, dass Familien mehrere Stück Federvieh für den eigenen Gebrauch halten.
Omi warnte vor einer globalen Bedrohung für Federvieh, da der H5N1-Erreger »sehr unberechenbar« sei. Die betroffenen asiatischen Länder seien für den Umgang mit dem Virus nicht so gut ausgestattet wie es entwickelte Länder seien. Die UN-Organisationen benötigten umgerechnet 216 Millionen Euro, um die Krankheit zu bekämpfen. Bislang gebe es nur internationale Zusagen über umgerechnet 16 Millionen Euro, um den betroffenen asiatischen Ländern zu helfen. Diese rief Omi zu mehr Transparenz und Zusammenarbeit auf.
WHO-Experten hatten immer wieder die Sorge geäußert, dass sich menschliche Grippeviren mit Vogelgrippeviren in einem infizierten Menschen vermischen könnten, und sich zu einem »Supervirus« entwickeln. Noch ist ein solches Supervirus nicht aufgetaucht. Ein gewöhnliche Grippeimpfung kann dies verhindern.
Unterdessen haben Zollprobleme Tests der Vogelgrippe-Viren aus Rumänien verzögert, so dass erste Ergebnisse erst für Samstag erwartet werden. Wie die EU-Kommission in Brüssel am Freitag mitteilte, müssen beim Versand der Proben aus Rumänien spezielle Vorschriften für gefährliche Güter eingehalten werden. In Rumänien war das Vogelgrippevirus H5 festgestellt worden. Unklar ist bislang, ob es sich um den auch für Menschen gefährlichen Subtyp H5N1 handelt.

Artikel vom 15.10.2005