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Missionseifer
bringt Häftling
vor Gericht

Streit um Weihnachtsgeschichte

Von Christian Althoff
Herford (WB). Ein Häftling christlichen Glaubens und ein Moslem sind in der Justizvollzugsanstalt Herford in einen Streit über die Weihnachtsgeschichte geraten, der für einen der beiden beinahe ein tödliches Ende genommen hätte.

Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat jetzt Anklage gegen den Strafgefangenen Matthias S. (24) erhoben - wegen versuchten Totschlags. Der Paderborner war 2003 wegen Kindesmissbrauchs in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. »Eines Nachts ist mir in meiner Zelle der Heilige Geist erschienen und hat mich bekehrt«, sagte Matthias S. seinem Anwalt Andreas Chlosta. Er habe in jener Nacht mit Gott über seine Verfehlungen gesprochen und sei seitdem »rein«.
Seit dieser Nacht versucht Matthias S., auch seine Mitgefangenen zu bekehren. Er liest laut in der Heiligen Schrift oder steckt anderen Häftlingen Zettel mit Bibelzitaten zu. Der Missionseifer führte schließlich dazu, dass der 24-Jährige Heiligabend vergangenen Jahres seinem moslemischen Zellengenossen Rafat R. die Weihnachtsgeschichte vortragen wollte. Rafat R. soll sich darüber lustig gemacht haben, und Matthias S. drohte, Gott werde eine solche Lästerung nicht hinnehmen und ihn bestrafen. »Kann dein Gott denn meinen Tod veranlassen?«, soll Rafat R. gefragt, sich plötzlich ans Herz gefasst und sich tot gestellt haben. Da verlor Matthias S. die Kontrolle: »Ich lasse nicht zu, dass mein Gott lächerlich gemacht wird! Ich bringe dich um!«, rief er. Dann stürzte er sich auf den Mithäftling, legte ihm die Hände um den Hals und die Daumen auf den Kehlkopf und drückte zu.
Ein dritter Gefangener, der ebenfalls in der Zelle saß, konnte die beiden schließlich gewaltsam trennen und Alarm schlagen. Vollzugsbeamte brachten Matthias S. in eine Einzelzelle.
Inzwischen ist der Häftling von einen Psychologen begutachtet worden, der Matthias S. eine »Persönlichkeits- und psychotische Störung« attestiert. In dem Prozess, der am 11. November vor dem Landgericht Bielefeld beginnt, will die Staatsanwaltschaft deshalb die Einweisung des Mannes in die Psychiatrie erreichen. Anwalt Andreas Chlosta: »Mein Mandant sieht selbst den Behandlungsbedarf und glaubt, dass ihm eine Unterbringung in Eickelborn gut tun wird.«
Allerdings halte Matthias S. die Anklage wegen versuchten Totschlags für überzogen und sei sicher, dass Gott seine schützende Hand während des Prozesses über ihn halten werde. »Er sagt, dass er seinem Zellengenossen nur einen Denkzettel verpassen wollte und nie vorgehabt habe, ihn umzubringen. Schließlich heißt das fünfte gebot: Du sollst nicht töten.«

Artikel vom 17.10.2005