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Selbstverantwortung und Eigeninitiative

Die wirtschaftliche Entwicklung in Ostwestfalen-Lippe kann ein Beispiel für ganz NRW sein

Von Christa Thoben
Die Region Ostwestfalen-Lippe hat für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen beispielgebende Funktionen. In OWL werden weltweit bekannte Markenartikel produziert: Bertelsmann und Miele in Gütersloh, Dr. Oetker in Bielefeld, Wincor Nixdorf in Paderborn, Melitta in Minden, Storck in Halle. Diese weltbekannten Unternehmen bieten zusammen mit vielen mittelständischen Firmen der Region zahlreichen Menschen Arbeitsplätze und tragen damit maßgeblich zum Wohlstand in Ostwestfalen-Lippe bei.

Es ist wohl diese Mischung aus international operierenden Konzernen und leistungsfähigen, flexibel agierenden kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Ostwestfalen-Lippe so erfolgreich gemacht hat. Traditionell ist das produzierende Gewerbe in Ostwestfalen-Lippe am stärksten vertreten. Dabei sind die herausragenden Bereiche der Maschinenbau, die Möbelindustrie, die Elektrotechnik und das Ernährungsgewerbe. Der Anteil der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe liegt bei gut 40 Prozent, also deutlich über dem Durchschnitt Nordrhein-Westfalens. In den Kreisen Gütersloh und Herford beträgt die Quote sogar fast 50 Prozent.
Ich halte allerdings nichts davon, die Industrie ohne die Dienstleistungen zu betrachten, denn Industrieunternehmen lassen sich dort nieder, wo sie ein adäquates Dienstleistungsangebot vorfinden. Umgekehrt siedeln sich Dienstleistungsunternehmen vor allem dort an, wo sie ein entsprechendes Auftragsvolumen aus der Industrie antreffen. Und in diesem Punkt sehe ich noch Entwicklungspotenzial für Ostwestfalen-Lippe. Wir sollten daran arbeiten, auch den bislang in der Region noch unterdurchschnittlich vertretenen Dienstleistungssektor auszubauen. Das gilt insbesondere für die produktionsorientierten oder unternehmensnahen Dienstleistungen.
Ein Wirtschaftsbereich, in dem sowohl Produktion wie auch Dienstleistungen eine wichtige Rolle spielen, ist die Gesundheitswirtschaft. In der Region Ostwestfalen-Lippe sind mehr als 87 000 Beschäftigte in diesem Bereich tätig. Neben den personal- und beschäftigungsintensiven Dienstleistungen in den Kernbereichen der ambulanten und stationären Versorgung sind damit auch die kapital- und technologieintensiven Vorleistungs- und Zulieferindustrien verbunden. Diese Stärke der Region wird - auch mit Unterstützung der Landesregierung - bereits seit einigen Jahren systematisch weiter entwickelt. Inzwischen hat sich die Gesundheitswirtschaft in OWL bundesweit profiliert. Ähnliche Ansätze gibt es auch mit dem Netzwerk »OWL-Maschinenbau«, zu dem sich namhafte Unternehmen, Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie Verwaltungen zusammengeschlossen haben.
Wir wollen den Standort OWL stärken. Deshalb ist der Ausbau solcher regionalen Stärken unverzichtbar. Dabei muss sich auch OWL den Herausforderungen des Strukturwandels in der Wirtschaft stellen, wenn es im schärfer werdenden Wettbewerb der Regionen bestehen will.
Diesen Prozess will die neue Landesregierung gezielt unterstützen. Wir setzen deshalb auf eine Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung, eine Stärkung und Straffung der Gründungsberatung, eine tatsächliche, nicht nur in Festtagsreden formulierte Förderung des Mittelstandes und einen massiven Bürokratieabbau. Dabei hat Ostwestfalen-Lippe Maßstäbe gesetzt. Die Landesregierung wird die Ergebnisse des Modellversuchs Bürokratieabbau OWL auf ganz Nordrhein-Westfalen übertragen.
Wir wollen aber noch mehr: Bezog sich dieser Modellversuch zunächst auf landesgesetzliche Vorgaben, werden wir in den kommenden Monaten auch bundesgesetzliche Regelungen überprüfen und gegebenenfalls über den Bundesrat Änderungen anstreben, wenn sie Hemmnisse für Wachstum und Beschäftigung darstellen. Die Landesregierung setzt auf Selbstverantwortung und Eigeninitiative statt Gängelung und Bevormundung. Ein Beispiel dafür ist der Dialog Wirtschaft-Umwelt NRW. Gemeinsam mit den Unternehmen sollen freiwillige Vereinbarungen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen getroffen werden, um so den Antrags- und Genehmigungsdschungel in diesem Bereich zu lichten und spürbare Erleichterungen für die Betriebe zu erreichen.
Bei der schon erwähnten Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung wird die NRW Bank eine zentrale Rolle spielen. Alle Förderinstrumentarien werden dort zusammengefasst, um mehr Transparenz, Effizienz und Professionalität zu erreichen. Unser Ziel ist es, Fördermittel nicht mehr breit und unkritisch zu streuen, sondern gezielt Wettbewerbe - auch zwischen den Regionen des Landes - zu veranlassen, damit das jeweils beste Konzept, die jeweils beste Idee unterstützt werden.
Mehr Wachstum und Beschäftigung werden aber nur erreicht, wenn wir die Selbständigen-Quote deutlich erhöhen und dabei auf kleine und mittlere Unternehmen setzen. Denn dort entstehen die Jobs, die wir so dringend benötigen, wenn die Wende auf dem Arbeitsmarkt eingeleitet werden soll. Ideen für neue Produkte und Dienstleistungen gibt es genug. Wir müssen dafür sorgen, dass junge Leute, die den Mut zur Selbständigkeit haben, schnell und effizient bei der Unternehmensgründung unterstützt werden. Die Beratungseinrichtungen müssen durchforstet werden. Zusammen mit den Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft, den Handwerkskammern beziehungsweise den Industrie- und Handelskammern planen wir die Einrichtung von Gründungsagenturen. Ziel ist die Beratung von Existenzgründern aus einer Hand, einschließlich der Erledigung von Gründungsformalitäten (etwa Gewerbeanmeldung). Damit wird der Beratungsprozess verkürzt und qualitativ verbessert. In diesem Zusammenhang prüfen wir auch, wie zwingende rechtliche Rahmenbedingungen für Existenzgründungen vereinfacht oder ganz abgeschafft werden können.
Denn unser Ziel ist eine Wirtschaftspolitik, die Kräfte und Ideen freisetzt. Das setzt voraus, dass Land und Bund die erstickende Regulierungsdichte, die sich in den letzten Jahrzehnten gebildet hat, verringern. Aufgehen wird diese Rechnung aber nur, wenn Bürgerschaft und Wirtschaft lernen, in dann entstehende Freiräume, die immer auch Kapitalpotenzial in sich tragen, nicht erneut nach einem »klarstellenden« Eingriff des Gesetzgebers verlangen.

Artikel vom 22.10.2005