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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jakobs


Es wird heute viel von Liebe geredet. Der Hunger nach Beispielen von Liebe muss riesig sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass unentwegt neue Illustrierte und Fernsehsendungen entstehen, die nichts anderes tun, als das Aufflammen einer neuen Liebe oder das Zerbrechen der alten zwischen irgendwelchen Prominenten zu beschreiben.
Und bis hinein in die Schlafzimmer wird geforscht, um etwas über etwaige Schwangerschaften zu erfahren. Da lohnt es sich, den ungeheuerlichsten und geheimnisvollsten Liebesakt aller Zeiten immer aufs Neue in Erinnerung zu rufen: Der allgewaltige Gott zeugt einen Sohn im Schoß eines jungen Mädchens, im Schoß eines seiner eigenen Geschöpfe: Maria.
Diesem Moment der Empfängnis ging eine lange Zeit der Werbung voraus. Gott hatte über all die Jahrhunderte des Alten Bundes um das Herz von Menschen im jüdischen Volk geworben. Immer wieder waren Einzelne für diese Liebeswerbung Gottes offener als andere gewesen. Aber das Geschehen zwischen Gott und Maria war offenbar noch etwas ganz Eigenes.
Auch um sie wirbt Gott, er zwingt nie. Er schickt sogar in aller Zurückhaltung einen Boten mit seinem Antrag. Vielleicht wären damaligen Zuschauern die Tränen gekommen - wie könnte es anders sein, denn bis heute berühren solche Momente und ziehen magisch die Emotionen auf sich. Maria auf jeden Fall nimmt den Liebesantrag mit der ganzen Schlichtheit und Anmut eines stillen Wesens entgegen. Damit sagt sie gleichzeitig ein beherztes »Ja« zu einem Kind und einem Auftrag, der ihre eigene Auffassungsfähigkeit völlig übersteigt. (Lukas 1, 38)
Und obwohl dies ihre private Liebesentscheidung ist, spielt sich die Folge dieser Entscheidung zu großen Teilen in der Öffentlichkeit ab. Sie empfängt den Samen Gottes, um von ihm immer mehr ergriffen zu werden. Die Frucht dieser Liebe, der Sohn Gottes, reift in ihr. Sie begleitet dieses Kind der Liebe in alle Unbegreiflichkeit hinein - in Armut, Vertreibung, fadenscheinigen Jubel . . . Als stille, treue Begleiterin steht sie schließlich auch unter dem Kreuz, aufrecht. Dort, wo alles zu Ende zu sein scheint, bekommt sie von ihrem sterbenden Sohn einen neuen Auftrag: Seinen Jüngern soll sie fortan Mutter sein (Johannes 19, 26).
Bis heute haben unzählige Menschen bewundernd auf diese Liebe geschaut. So wie diese junge Frau für Gottes Liebe offen war, wollten es andere ihr nachtun. Auch wenn kein Kind direkt in ihm heranwuchs, konnte Paulus von sich sagen: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.« (Galater 2, 20). Bis heute gibt es niemanden, der so oft zum Vorbild für die Liebe zu Gott genommen wurde wie Maria. Denn wie sie ihre Liebe zu Gott lebte und dann Jesus seinen Weg durch ihren Schoß und ihre fürsorglichen Hände nahm, so kann Gott in uns geboren, genährt und am Herzen getragen werden.
Der Oktober ist seit vielen Jahrhunderten der Monat, in der diese Liebesgeschichte in Erinnerung gerufen wird. Dazu gibt es ein passendes Gebet. Dessen Name hat etwas von der zarten Symbolik einer ersten Verabredung. Denn bis heute sind es gerade Rosen, die Menschen als vorsichtigen Ausdruck einer Liebesbereitschaft mitbringen. Das Gebet heißt Rosenkranz und durchbetet meditativ diese erste und doch so innige neue Liebesbegegnung: »Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade . . .«

Artikel vom 15.10.2005