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Zehn Punkte belasten Ehemann

Mordprozess beginnt am 24. Oktober - Gericht fordert »Sat 1«-Video an

Von Christian Althoff
Detmold (WB). Mordprozess ohne Leiche: Zwei Wochen, bevor sich Alexander F. (28) aus Augustdorf vor dem Schwurgericht in Detmold verantworten muss, hat das Gericht ein Video von »Sat 1« angefordert. In der Sendung »Blitz« hatte Alexander F. im Herbst 2000 seine Frau Bianca (22) angefleht, zu ihm zurückzukehren. Doch da soll die Schwangere längst tot gewesen sein - ermordet von ihrem frisch angetrauten Ehemann.

Der Prozess beginnt am 24. Oktober, doch Alexander F. hat bereits angekündigt, er werde schweigen. Das »Sat 1«-Video soll dazu beitragen, dass das Gericht einen Eindruck von dem Angeklagten gewinnt. Außerdem soll geprüft werden, ob Interview-Äußerungen des Tatverdächtigen im Widerspruch zu Angaben stehen, die er damals bei der Polizei gemacht hatte. Alexander F. hatte angegeben, seine Frau habe ihn im Streit verlassen und sei seitdem unauffindbar - eine Version der Ereignisse, die er bis heute von seinem Anwalt verbreiten lässt, nachdem er sich selbst nicht mehr äußern will.
Oberstaatsanwalt Diethard Höbrink ist jedoch überzeugt, dem früheren Bundeswehrsoldaten den Mord beweisen zu können - auch ohne Leiche. »Die Version des Ehemannes, dass seine Frau ihn verlassen hat und irgendwo anders lebt, ist nicht haltbar«, sagt Höbrink. Die Kripo Detmold, die Mordkommission Bielefeld und die Staatsanwaltschaft haben in den vergangenen fünf Jahren zehn Fakten zusammengetragen, die den Angeklagten belasten:l An jenem Tag im Juni 2000, an dem die Frau aus der gemeinsamen Wohnung in Augustdorf verschwindet, gibt es einen heftigen Streit zwischen den Eheleuten - angeblich, weil Alexander F. mit der Schwangerschaft nicht einverstanden ist.l Erst auf den Druck von Freunden hin erstattet der Ehemann Vermisstenanzeige. Seinen Schwiegereltern gegenüber verheimlicht er wochenlang, dass ihre Tochter nicht mehr da ist.l Am Tag nach Biancas Verschwinden will Alexander F. wie üblich als Paketzusteller bei der Post in Bielefeld gearbeitet haben. Die Kripo findet jedoch heraus: Er fehlte unentschuldigt, reichte später ein ärztliches Attest nach.l Freundinnen der Vermissten berichten der Polizei von Gewalttätigkeiten des Ehemannes. So soll er Bianca einmal an den Haaren vom zweiten Stock in den Keller gezogen und sie geschlagen haben.l Vier Monate nach dem Verschwinden der Frau schlägt ein Leichenspürhund im Wohnzimmer des Ehepaares an und weist auf eine Teppichstelle hin. Allerdings können dort keine Spuren der Frau nachgewiesen werden.l Der Mutterpass der im vierten Monat schwangeren Frau wird in der Wohnung gefunden. Die Kripo glaubt nicht, dass Bianca F. ihn zurückgelassen hätte. Sie fragt bei Kassenärztlichen Vereinigungen nach und erfährt: Bianca F. hat nach ihrem Verschwinden keinen Arzt mehr aufgesucht, auch von einer Entbindung ist nichts bekannt.l Am 5. Juni 2000 hat Bianca F. zum letzten Mal Geld von ihrem Konto abgehoben. Seit jenem Tag ist ihre EC-Karte nie wieder benutzt worden.l Ihre Hündin »Tina« hätte die Frau nach Angaben von Freundinnen niemals zurückgelassen. Nur das Kind, das sie erwartete, habe sie noch mehr geliebt, sagt eine Zeugin der Polizei.l Am 20. November 2000, dem errechneten Geburtstag des Babys, hält sich Alexander F. eine halbe Stunde lang in der Senne bei Augustdorf auf. Als Polizisten vier Jahre später davon erfahren und einen Leichenspürhund in das Gebiet schicken, schlägt der Hund immer wieder an einer Stelle an. Grabungen bleiben jedoch erfolglos.l Ein Türke, der Alexander F. für die vermutete Tatzeit ein Alibi gegeben hatte und wegen einer anderen Sache in Detmold in Haft sitzt, soll Anfang dieses Jahres gegenüber einem Mithäftling ausgepackt haben. Danach soll Alexander F. dem Türken vor Jahren anvertraut haben, er habe seine Frau getötet, die Leiche aber so beseitigt, dass die Polizei sie niemals finden werde.
Alexander F. sitzt derzeit in Untersuchungshaft und schweigt. Die Ermittler nehmen an, dass er seinem türkischen Freund, der ihm im Jahr 2000 ein Alibi gegeben hatte, als Gegenleistung seine Papiere überließ. Mit diesen hatte der Türke, der keine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland besaß, bis zu seiner Festnahme Anfang des Jahres in Ostfriesland gelebt.
Strafverteidiger Andreas Steffen beeindrucken die zehn Indizien allerdings nicht, die die Ermittler zusammengetragen haben: »Wo ist denn der Beweis, dass die Frau überhaupt ums Leben gekommen ist?«, fragte er und bezeichnete die fünfjährigen Ermittlungen der Polizei als »bodenlose Geldverschwendung«. Er gehe davon aus, dass sein Mandant freigesprochen werde, sagte der Anwalt.
Das hoffen Biancas Eltern Martin und Angelika R. allerdings nicht, die als Nebenkläger im Prozess auftreten werden. Ihre Anwältin Christiane Herzig aus Bielefeld: »Der Angeklagte sollte Rückgrat zeigen und endlich auspacken, um die quälende Ungewissheit zu beenden, die die Eltern nicht zur Ruhe kommen lässt.«

Artikel vom 15.10.2005