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Ernst genug: Der Spaß ist vorbei

Klinsmann bleibt auch nach dem Pfeifkonzert von Hamburg optimistisch

Von Hans Peter Tipp
Hamburg (WB). Gott sei Dank war es China. Und nicht Iran, Japan, Saudi-Arabien oder Südkorea. Denn diese Länder haben sich in Asien für die Fußball-WM 2006 qualifiziert. Die Volksrepublik hat das nicht geschafft. Ob die deutsche Nationalelf eine Qualifikation erfolgreich überstanden hätte, ist nach dem tristen 1:0 (0:0) vom Mittwoch in Hamburg eine berechtigte Frage.

Die Antwort ist aber glücklicherweise überflüssig. Der Weltverband FIFA gestattet es den Gastgebern, unabhängig von einem Nachweis der aktuellen Befähigung bei der WM mitspielen zu dürfen. Ein Privileg, das aus deutscher Sicht nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Allerdings ließ in Hamburg noch nicht einmal der Siegtreffer größere Vorfreude auf das Ereignis im nächsten Jahr aufkommen. Der blasse Torsten Frings verwandelte aus elf Metern unter Zuhilfenahme des Innenpfostens. Anschließend meinte der Bremer frech: »Sicher war Glück dabei. Aber der Ball war drin.« Drin ist drin, das mochte man in diesem Fall sogar noch durchgehen lassen. Für den Platz im Herzen der deutschen Fußballfans gilt das aber nicht mehr so ohne weiteres.
In Hamburg hatten sich fast 50 000 Zuschauer erst richtig gefreut - trotz des Reinfalls am Bosporus wenige Tage zuvor. Freundlich schwenkten sie vor Spielbeginn noch jene schwarz-rot-goldenen Fähnchen, die vor dem Stadion großzügig verteilt worden waren. Das erfüllte den Tatbestand einer gelungenen WM-Generalprobe schon recht genau.
Als aber die Chinesen vor dem Seitenwechsel sogar fast die Führung erzielten, liefen die Zuschauer mit ihren fliegenden Fähnchen über und schickten die Deutschen, bei denen nur Michael Ballack und Miroslav Klose von der Bestbesetzung fehlten, mit einem gellenden Pfeifkonzert vom Platz. Was in gewisser Weise auch ein Vorgeschmack auf die WM gewesen sein könnte. Denn die Erwartungen sind hoch, und sie werden weiter extrem hoch gehalten. Jürgen Klinsmann sah überhaupt keinen Grund, vom Titelgewinn als Ziel abzurücken. Seine Erklärung für das aktuelle Oktobertief erinnerte an die eines Wetterexperten, der die ersten herbstlichen Bodenfröste mit den niedrigen Temperaturen erklärt: »Wir machen einen Hänger durch«, sagte Klinsmann. Das hatte jeder gesehen. Aber nur der Bundestrainer erkannte den tieferen Sinn: »Wir wissen genau, wo die Mannschaft steht und wo wir hinwollen.«
Anders als die Zuschauer wertete er die 90 Minuten gegen China auch nicht als Zeitverschwendung: »Die Partie war ein Paradebeispiel für das, was nächstes Jahr bei der WM auf uns zukommen wird. Dort werden wir uns auch des öfteren einer defensiv ausgerichteten Mannschaft gegenüber sehen. Deshalb hat uns auch dieses Spiel weitergebracht.« Optimismus als Markenzeichen, Zuversicht als Therapie: Ob aufgesetzte gute Laune binnen neun Monaten Berge versetzen kann? Doch selbst ein »Klartexter« wie Oliver Kahn begnügte sich dieses Mal damit, nach sieben Spielen mit mindestens zwei Gegentreffer endlich mit dem Adler auf der Brust ein »zu Null« gehalten zu haben. Gegen China!
Ein Anderer musste noch weniger tun als der Torwart, um als einer der Gewinner des Abends vom Platz zu gehen. Dortmunds Christoph Metzelder vernahm Lobeshymnen, obwohl er während des Spieles meistens nichts zu tun gehabt und bei den Chancen der Chinesen nicht gut ausgesehen hatte: »Er hat alles richtig gemacht. Das ist etwas, auf das wir bauen können«, befand Klinsmann, der Gesundbeter.
Zumindest Lukas Podolski, der mit einer Wadenprellung ausgewechselt wurde, räumte ein Problem ein: »Wir wissen selbst nicht, woran es liegt. Aber wir können es auf jeden Fall besser.« Das bleibt zu hoffen. Die nächsten Gegner heißen Frankreich (12. November) und Italien (1. März). Dann ist der Spaß endgültig vorbei. Dann wird es ernst.

Artikel vom 14.10.2005