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Ein Stehgeiger aus Liebe zur Musik

Zehnjähriger Alexander Hoffmann ist Bielefelds jüngster Straßenmusikant und sucht Praxis

Von Gerhard Hülsegge
Bielefeld(WB). Wer dieser Tage durch Bielefelds Fußgängerzone schlendert, kommt an ihm kaum vorbei: Alexander Hoffmann, zehn Jahre - und Bielefelds jüngster Straßenmusikant. Mehr noch: Der »Stehgeiger« ist im wahrsten Wortsinn ausgezeichneter Violinist.

»Meine Lehrerin hat gesagt, wer ein echter Künstler werden will, der muss vor Publikum spielen«, erklärt der Sieger des Regionalwettbewerbs »Jugend musiziert 2004« sein Engagement unter freiem Himmel. Die Lehrerin, das ist Tamara Wedel am OWL-College Detmold-Lage, das Alexander Hoffmann derzeit besucht. Die Herbstferien waren dem Fünftklässler des Bielefelder Ratsgymnasiums natürlich besonders willkommen. Dann konnte er noch häufiger in Bahnhof- oder Niedernstraße seinen Geigenkasten auspacken in der Hoffnung, nicht nur auf ein interessiertes Publikum zu stoßen, sondern auf diese Weise auch noch das Taschengeld aufzubessern.
Der Steppke musiziert seit seinem fünften Lebensjahr. Das erste Mal stellte er sich Weihnachten vor zwei Jahren in die Bahnhofstraße, packte seine Geige aus und gab Stücke von Vivaldi und Seitz, Etüden, Lieder, aber auch Variationen über ein Thema von Paganini zum Besten. Und das Publikum horchte auf, war auf Anhieb begeistert, blieb stehen und genoss die klassische Unterhaltung, das virtuose Spiel. Flitzt der Bogen über die Saiten, bilden sich auch an diesen Herbsttagen nicht selten rasch ganze Menschentrauben, um Alexander Hoffmanns Klängen zu lauschen.
»Anfangs war ich noch unsicher. Dann haben aber immer mehr Leute zugehört und auch geklatscht«, erzählt der Geiger. »Leider«, so berichtet er weiter, »benutzen manche Leute meinen Geigenkasten auch als Papierkorb. Die meisten indes zeigen ein Herz für die Kunst, öffnen ihr Portemonnaie und sind gerne bereit, den Enthusiasmus und die Lebensfreude, die der junge Musiker verbreitet, auch mit einer Geldspende zu honorieren.
»20 bis 30 Euro kommen da am Tag schon mal zusammen«, freut sich Alexander Hoffmann über die Aufbesserung seines Taschengeldes durch sein Hobby. Nur Hobby? »Wenn alles klappt, werde ich Konzertgeiger«, steht für den Nachwuchsmusiker fest - »oder Architekt«. Im neuen Haus der Eltern an Engelbert-Kaempfer-Straße im Ortsteil Sieker wird unterdessen fast ständig musiziert. Oder, wie der Volksmund sagt: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Denn sowohl Mutter Elena (35) als auch Stiefvater Andrej Fadejev (41) sind Konzertpianisten. Beide lernten sich in den Neunzigerjahren kennen. Zur Familie gehören auch die Söhne Andrej (3) und Michael (ein Jahr).
Andrej Fadejev sen. war nach seinem Konzertexamen am Moskauer Tschaikowski-Konservatorium Teilnehmer und Preisträger internationaler Klavierwettbewerbe in Barcelona und Tokio und beim staatlichen Rundfunk in Moskau angestellt. Seine Konzerttätigkeit umfasst neben Klavierabenden und Kammermusik auch Konzerte mit der Philharmonia Hungarica.
Alexander Hoffmann übt täglich anderthalb bis drei Stunden auf seiner Violine. Für sein zweites Faible, den Kung Fu-Kampfsport, bleibt momentan dagegen wenig Zeit, obwohl er bereits den gelben Gürtel besitzt. Was er mit den Einnahmen aus der Straßenmusiziererei macht? »Irgendwann eine neue Geige kaufen«, ist doch klar.

Artikel vom 17.10.2005