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Hier buddeln Karnickel,
hier kitzelt die Kunst

Künstler aus Halle richten einzigartiges Atelier ein

Von Matthias Meyer zur Heyde und Hans-Werner Büscher (Foto)
Bielefeld (WB). Sie betreten den Laden. Palim. Palim. Hinterm Eingang: Sandpiste. Links Rollrasen, rechts Sandburg, zerstört von Stella & Artois. Stella & Artois sind zwei Kaninchen, die zusammen mit sieben spaßigen Künstlern aus Halle an der Viktoriastraße 14 Spaß und Kunst glücklich vereinen wollen.

Wo früher eine Chemische Reinigung langmolekülige Spezereien in den Äther pustete, fummeln jetzt der »Frauen- und Landschaftsmaler« Wolfgang Meluhn und seine Spaßgesellen eine Happening-Stätte hin. Eröffnet wird am Samstag, 22. Oktober, 14 Uhr, salbungsvoll geredet wird um 20 Uhr. Es kommen Kabarettisten und eine Yoga-Lehrerin, man schmeißt 'ne Runde Esoterik mit Sekt. Sitzmatte mitbringen!
Damit Bielefeld mitkriegt, was hier entsteht, probt heute um 20 Uhr die Band »Saimaa« live im Schaufenster. »Saimaa« sind so finnisch wie ihre Sängerin Katariina Hollmerus, die als Malerin zur Riege der »Landeier« (Eigenbezeichnung) der »Alten Lederfabrik« in Halle gehört, die ausgezogen sind, um uns Großstädter das rechte Kunstverständnis zu lehren. Momentan baumelt hinterm linken Schaufenster Katariina Hollmerus' »Hängende« von der Decke. Sieht aus wie eine birkenhölzerne Gebrauchsanweisung für die US-Folterknechte von Abu Ghureib, ist laut Untertitel aber harmlos: »I've looked at it from both sides now« - man soll sich die Welt eben auch mal kopfüber begucken.
Irgendwo, ganz weit weg, grinst Schorsch Baselitz sich einen.
Am rechten Schaufenster, hinter dem Christoph Kaspers skelettierte Fische schwimmen, drücken sich Kinder die Nase platt, weil Stella & Artois gerade die Sandburgruine stürmen. »Wir wollen ungewöhnliche Aktionen«, sagt Meluhn. Wie bestellt, steckt ein Passant den Kopf zur Tür herein: »Kinnings, die Viecher brauchen Grünzeug!« Haben sie, auch Möhren satt, aber nein, Stella & Artois buddeln lieber.
Miete müssen die munteren Haller dem Hauseigentümer Wolfgang Lennartz nicht zahlen. Im Gegenteil, ihnen stünde Geld zu. Eine verkeilte Holzlatte sichert die Nebentür (»wir könn' den Schlüssel nich finden . . .«). Ein falscher Schritt aus dem »Fernsehzimmer«, und man landet zwei Meter tiefer im Hintergarten, in dem ein Schornstein steht, »mit dem ich als Karl-May-Fan Rauchzeichen geben werde« (Meluhn).
Auf zwei Etagen will das Septett, zu dem auch der Grafikdesigner Matthias Poltrock, der Elektroniker und Museumsleiter Rainer Menting, die Malerin Erika Heinemann und der Maler Jörg Spätig (»Azubi bei Christoph Kasper«) gehören, alles aus der modernen Kunst herauskitzeln. Eine Bar einrichten (Bierkästen hinter der Durchreiche) und mittels einer »Metzger-Installation« die ganze Schrecklichkeit der wirklich absolut gruseligen Küche hervorheben.
Hinter den Schaufenstern: wöchentlich wechselnde Action. Am Dienstag fallen Stella & Artois diesem Konzept zum Opfer. Meluhn sagt nur: »Hasenterrine, lecker!« Bevor Sie jetzt Ihren Nachwuchs für eine Karnickelrettungsdemo mit Trillerpfeife und Transparent bewaffnen, hören wir noch einmal Meluhn: »Wiederauferstehung ist inbegriffen.«

Artikel vom 14.10.2005