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Wo der Inn die Donau küsst
Mehr italienisch als bayerisch: Passau überrascht seine Besucher gern
Der Schweinsbraten im »Grünen Baum« ist vertilgt, die Maß vom ungefilterten Zwicklbier erst zur Hälfte ausgetrunken. Der Blick schweift die Höllgasse entlang, wo Passau weniger bayerisch als italienisch wirkt, ruht kurz auf dem Rathausturm und wird dann vom Nachtwächter angezogen, der mit Hellebarde über der Schulter zum Dienst eilt.
Passau - eine Stadt, die es zu schützen (und zu besuchen!) lohnt. Alexander von Humboldt zählte sie zu den zehn schönstgelegenen Städten der Welt an siebter Stelle.
Von Kelten gegründet und vielen Völkern beherrscht, war Passau lange Zeit selbständiges Fürstbistum und kam erst 1803 zu Bayern. Sehr zum Missfallen der Bürger, die lieber zu Österreich wollten, sich heute aber als Musterbayern fühlen. Überhaupt ist der Passauer eher wankelmütig. Richard Wagner wollte ursprünglich sein Festspielhaus zwischen Donau und Inn bauen. Doch die Passauer wollten lieber eine Brauerei. Heute brauchen sie ein Festspielhaus für die »Europa-Wochen« und überlegen, die Brauerei umzusiedeln. Dagegen läuft ein Bürgerbegehren, denn die Stadt ist die höchstverschuldete in Bayern.
Passau ist nicht nur schön, sondern überrascht seine Besucher auf vielfältige Weise. Wer weiß schon, dass der breite Inn bei Passau in die viel schmalere Donau mündet, die ihren Namen nur behalten darf, weil sie von der Quelle bis Passau länger ist als der Inn. Die »Nase« am Ende der Altstadt-Halbinsel ist allerdings künstlich - nicht, weil die Passauer eine citynahe Grünanlage haben wollten, sondern weil sich so die Strömung der Flüsse optimieren ließ.
Wer ahnt schon, dass man im Hotel »Wilder Mann« im Hochzeitsbett von Märchenkönig Ludwig II. nächtigen kann? Das Hotel gehört Georg Höltl, der seine Gäste ansonsten lieber in Hotelbussen zu den abenteuerlichsten Plätzen der Welt fährt und mit seinem Unternehmen Rotel-Tours ein ganz eigenes Kapitel deutscher Touristikgeschichte schrieb. Dass er nahe Passau auch ein bayerwäldisches Museumsdorf und die größte und kunsthistorisch bedeutsamste Sammlung böhmischen Glases besitzt, rundet diese facettenreiche Persönlichkeit ab. Höltl hat 30 000 wertvolle Stücke zusammengetragen - ein Großteil der 20 Prozent, die von der Produktion böhmischer Glashütten überhaupt erhalten ist. Doch das ist nicht die einzige kulturelle Sehenswürdigkeit in Passau. Der Rathaussaal, von italienischen Dom-Malern geplant, aber erst 200 Jahre später vom Maler Ferdinand Wagner vollendet, gehört dazu - wenn nicht gerade die 44 Ratsherren aus neun Parteien im Stadtrat tagen.
Natürlich muss man in den Dom, dessen fünf Orgeln mit zusammen 17 974 Orgelpfeifen seit 1924 dank elektrischer Unterstützung von einem einzigen Organisten gleichzeitig gespielt werden können. Wer selbst künstlerisch aktiv werden möchte, bucht den »lustvollen« Stadtrundgang mit Gästeführerin Anneliese Hertel und darf in der Konditorei Simon das Stadtmaskottchen, den »Passauer Tölpel«, aus Marzipan kneten.
Sie sind eben nicht nur widersprüchlich, sondern kreativ, die Passauer, wenn es darum geht, ihre Gäste zu beglücken. Das gilt auch für Sternekoch Richard Kerscher, der ausgerechnet im tiefstgelegenen Haus der Passauer Altstadt ein Restaurant eröffnete. »Ich weiß, dass die Flüsse alle ein bis zwei Jahre über die Ufer treten. Aber ich habe einen Aufzug, um das Inventar in die oberen Stockwerke zu tranportieren. Dann wird das Lokal von der Feuerwehr mit sauberem Wasser geflutet - so dringt kein Dreckwasser von draußen ein, und die Renovierung ist unkompliziert.«
Der Wirt hat also weniger Sorgen als die beiden übriggebliebenen Semmel- und Leberknödel, die sich in der Küche streiten: »Do brauchatst an Humor an guat'n, was unsa oam ned ois zuamuat'n. Do klatschn's da, ganz ek'lhaft, an Farbig'n in d'Nachbarschaft«, stänkert der Semmelknödel, und der beleidigte Leberknödel keift zurück: »Du bist und bleibst a blassa Schlampn mit deine faadn Semmewampn, du wassapanschta Soßnbrocka, du übabliema Breddlhocka.« Woraus folgt: Um Streit zu vermeiden, sollte man seinen Teller leer essen. Was bei der leckeren Passauer Gastronomie aber nicht schwer fallen dürfte.
Thomas Albertsen

Artikel vom 29.10.2005