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Rot-Grün setzt Akzente
Bilanz einer Amtszeit: Mode bei Politikern heute ein wichtiges Thema
Auch seine Kritiker werden es nicht bestreiten: Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder hat während seiner Amtszeit in modischer Hinsicht stets eine gute Figur gemacht.
Während von Altkanzler Helmut Kohl eine Vorliebe für Saumagen und Strickjacken überliefert ist, denken viele beim SPD-Mann Schröder an Rotwein, Zigarren und Designer-Anzüge.
Modisch gesehen muss für die rot-grüne Regierung ein überwiegend positives Fazit gezogen werden, denn auch Grünen-Außenminister Joschka Fischer war auf dem diplomatischen Parkett fast immer in eleganter Weste und teurem Zwirn zu sehen. In die Turnschuhe schlüpfte er bestenfalls zum Laufen, wenn er wieder einmal gegen die Pfunde kämpfte.
Während der ersten rot-grünen Bundesregierung ist in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich wichtiger geworden, wie sich Politiker kleiden. »Obwohl in erster Linie selbstverständlich die Ausstrahlung eine Persönlichkeit ausmacht, spielt die Mode in der Politik eine nicht mehr zu unterschätzende Rolle«, bilanzierte kürzlich Designerin Jil Sander im Magazin »Cicero«. Und spottete: »Selbst Angela Merkel hat sich optisch verändert. Das hatte man schon nicht mehr zu hoffen gewagt.«
Die neue Kanzlerin trägt wie viele Politikerinnen oft Hosenanzüge, das Standardoutfit für Plenarsaal und Talkshow. Grünen-Chefin Claudia Roth ist mit ihren häufig bunten Oberteilen eher die Ausnahme bei den Frauen. »Ihr ganzes Outfit symbolisiert eine leicht trotzige, sehr sympathische Kampfeslust«, urteilte die Berliner Designerin Anna von Griesheim im Buch »Grün. Lob und andere Wahrheiten«.
Schröder wurde anfangs noch als »Brioni-Kanzler« verspottet, als er sich von einem Starfotografen im Kaschmir-Mantel für damals 4000 Mark fotografieren ließ. Auch Bilder des Cohiba-Zigarren schmauchenden Sozialdemokraten kamen nicht unbedingt gut an. Joschka Fischer verblüffte nach dem Regierungswechsel nicht nur damit, dass er die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright um den Finger wickelte, sondern auch durch seine perfekt sitzenden Einreiher. Sein Kommentar damals: »Ich bin früher auch nicht im Baströckchen rumgelaufen und habe meine Blöße nicht mit Blättern abgedeckt.«
Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts (Köln/Frankfurt am Main), hat die Veränderung aufmerksam beobachtet. »Schröder und Fischer haben in ihrer Amtszeit einen Paradigmenwechsel inszeniert«, meint er. Beide seien zu einem »gehobenen Stil« gewechselt. Schröder pflege diesen besonders. Bei ihm sei alles »von edelster Qualität, perfekt abgestimmt auf die Persönlichkeit«. Beim Westen tragenden Fischer hat Müller-Thomkins allerdings etwas priesterhafte Züge ausgemacht. Grundsätzlich seien die deutschen Politiker seit Rot-Grün aber im internationalen Vergleich »auf jeden Fall« viel besser angezogen als früher.
Und jenseits von Schlips und Kragen? Oft gesichtet wurde in der vergangenen Legislaturperiode die Randlosbrille: Sowohl CSU-Chef Edmund Stoiber als auch FDP-Chef Guido Westerwelle entschieden sich dafür. Um die Köpfe kümmerte sich parteienübergreifend Promi-Friseur Udo Walz, mittlerweile CDU-Mitglied. Er half nicht nur beim Styling Merkels, sondern frisierte auch Schröder.

Artikel vom 22.10.2005