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Bertolt Brecht

»Wer A sagt, muss nicht B sagen.
Er kann auch einsehen, dass
A falsch war.«

Leitartikel
Schatten & Oktober-Sonne

Von Rudolf, »Klinsi«
und Pilati


Von Rolf Dressler
Welch ein wunderbares Wetter, was für ein goldener Spätsommer-Oktober! Keine »guten« Wehklage-Zeiten für Klimakatastrophen- und Weltuntergangspropheten. Denn voller Freude genießen die Deutschen nun schon seit vielen Tagen mit Leib und Seele dieses Geschenk der Natur, das wir allein der großartigen Schöpfung zu verdanken haben.
Die Atempausen und das entspannte Innehalten kommen gerade recht. Sie geben Gelegenheit, den Blick zurückzurichten auf so manche Kuriosität, die in den Schatten der Frühherbst-Sonne unterging oder - viel öfter noch - von dem mächtigen Bundestagswahl-Getümmel überdeckt worden ist.
Allenfalls am Rande wahrgenommen wurde zum Beispiel, dass ausgerechnet Kristina Gräfin Pilati-Borggreve, seit gut zwei Jahren verheiratet mit dem einstigen SPD-Parteichef Rudolf Scharping, mit einer eigenen Fraueninitiative im Wahlkampf munter Positiv-Werbung für die Kanzleramtbewerberin der CDU betrieb. »Angela Merkel ist ein Glücksfall für Deutschland«, schwärmte die 57-Jährige und schritt zur Tat.
Kurz zuvor schon hatte Pilati- Ehemann Rudolf mit der Partei abgerechnet, die offenbar nicht mehr die seine ist, und mit deren heutiger Führung. Schneidend abschätzig geißelte Scharping den gnadenlos populistischen Stimmenfänger Oskar Lafontaine: Schröders »früherer Kompagnon von der Saarschleife« führe »einen charakterlosen Feldzug auf dem Rücken der SPD«. Doch Scharpings Begleitbemerkung war auf Gerhard Schröder gemünzt: »Der Ernstfall der Politik ist das Regieren, nicht die Talkshow!«
Fast prophetisches Gespür indes bewies Scharping bereits Wochen vor dem 18. September. Schon die bloße Diskussion in der SPD über eine künftige große Ko- alition in Berlin sei ein völlig fal- sches Signal zur Unzeit. Denn die- se Botschaft laute doch: »Schröders Kanzlerschaft ist vorbei.«
Keinerlei Widerhall fand Heide Simonis, ehedem SPD-Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins, als sie kundtat, sie kenne jenen Abgeordneten der SPD-Landtagsfraktion, der sie schmählich verraten und letztlich gestürzt habe. Nur beweisen könne sie es ihm nicht. Also werde sie seinen Namen nie nennen. Politiker-Schicksale im Verborgenen.
Und außerhalb der Politikgeschäfte? Je üppiger die Oktober-Sonne die Herzen erwärmt und je heller das Flutlicht in den Testspiel-Stadien strahlt, desto stärker verdunkelt sich die Miene unseres Nationaltrainers im Gefolge gehäuft trauriger Darbietungen der Elite-Kicker.
Wohl auch deshalb grätschte der genervte »Klinsi« das Ansinnen des französischen Spitzenspielers Valerien Ismael vom FC Bayern München aus. Dieser spricht fließend deutsch, fühlt sich der deutschen Mentalität sehr ver- bunden, würde deshalb nur zu gern deutscher Staatsbürger werden und dann für Deutschland den Ball treten.
Neinsager, Nichtssager und Vielredner gibt es überall. Selbst bei schönstem Sonnenschein.

Artikel vom 15.10.2005