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»Gangster« lassen
die Kugel rollen

Chinas Fußball steckt in der Krise

Hamburg (dpa). Deutschland Testgegner in Not: Der chinesische Fußball steckt in der größten und hausgemachten Krise seit Einführung seiner Super-Liga vor zehn Jahren.

Korruption, Wett-Skandale, Spielabsprachen und Bürokratie behindern auch die Entwicklung einer schlagkräftigen Nationalmannschaft, die sich nicht einmal für die WM 2006 in Deutschland qualifizieren konnte. Die Spielsaison der 14 Liga-Clubs endete vor vier Wochen genauso chaotisch wie sie angefangen hatte.
Trotzdem warnt Assistenz-Trainer Joachim Löw davor, den Rivalen auf die leichte Schulter zu nehmen: »Diese Partie in Hamburg ist für die Elite-Auswahl eine große Chance: Sie können mit einer guten Leistung endlich mal wieder für positive Schlagzeilen in ihrer Heimat sorgen.«
Die sind noch miserabel: Vorwürfe wegen Bestechung wollen nicht enden. Drei Spieler des Vereins Chongqing Lifan wurden wegen Absprachen gesperrt. Die Mannschaft von Shenzhen Jinlibao streikte, weil ihnen der finanziell angeschlagene und unter Korruptionsvorwürfen leidende Meisterclub seit Juli kein Gehalt mehr gezahlt hat.
Zwar ist Fußball der beliebteste Zuschauersport im Milliardenreich, doch die Fans wenden sich angewidert ab. Stadien bleiben leer. Sponsoren wie der Elektronikriese Siemens ziehen sich zurück. Das zentrale Staatsfernsehen CCTV überträgt die Spiele nicht mal mehr live. Die Clubs leiden unter Geldmangel, während eine »Untergrund-Industrie« entsteht. Casinos in Macao und Kanton wetten kräftig auf Liga-Spiele.
»Ich schätze, dass mindestens die Hälfte der Spiele in dieser Saison, oder die Hälfte der Teams, in Wettskandale verwickelt sind«, sagte Yin Mingshang, Präsident des Clubs Chongqing Lifan, der Tageszeitung »China Daily«.
Meister Shenzhen Club Jianlibao kam diese Saison nicht zur Ruhe. Nachdem Trainer Zhu Guanghu neuer Teamschef der Nationalmannschaft wurde, konnte sein Nachfolger Chi Shangbin nicht Fuß fassen und wurde im Mai entlassen. Er sprach danach von einer Verschwörung und Spielabsprachen in der Meistermannschaft, die plötzlich nur noch verlieren oder unentschieden spielen konnte, was in den 90 Minuten allemal leichter herbei zu manipulieren ist als ein Sieg.
Aus Protest gegen die Entlassung des Trainers trat auch Vorstandschef Yang Saixin zurück. »In Wirklichkeit haben diese Spieler die Mannschaft doch unter Kontrolle«, erhob Yang Saibin laut »China Daily« den Vorwurf, der Club beuge sich den Spielern, die er »Lümmel« nannte. »Sie sind Multi-Millionäre. Sie haben ihre eigenen Unternehmen. Sie sind mehr Gangster als Spieler. Sie haben auch die Macht, ein Spiel zu kontrollieren.«

Artikel vom 12.10.2005