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Weder »Basta«
noch eiserne Lady

Weidenfeld über schwierige Koalition

Von Dietmar Kemper
Gütersloh (WB). Die große Koalition in Berlin wird von taktischen Manövern und dem Wunsch, »möglichst gut aus ihr heraus zu kommen«, geprägt sein. Davon ist der renommierte Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld überzeugt.
Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld. Foto: teu

»Die erste große Koalition von 1966 bis 1969 unterscheidet sich von der jetzigen dadurch, dass sie gewollt war«, sagte Weidenfeld gestern dieser Zeitung. 2005 handele es sich um eine »vom Wähler erzwungene Zusammenarbeit«. Weidenfeld hat seit 1995 den Lehrstuhl für Politische Systeme und Europäische Einigung an der Uni München inne. Er leitet das Centrum für angewandte Politikforschung und gehört dem Vorstand der Gütersloher Bertelsmann Stiftung an.
Obwohl die Zusammenarbeit zwischen Union und SPD nicht auf Dauer angelegt sei, traut er ihr die Konsolidierung des maroden Haushalts zu. »Das ist in einer großen Koalition leichter zu schaffen, zumal der Handlungsdruck enorm ist«, betonte Weidenfeld. Die Tatsache, dass mit Angela Merkel erstmals eine Frau an der Spitze einer Bundesregierung steht, habe hohen Symbolwert: für die Verwirklichung der Gleichberechtigung in der Politik und für das Selbstbewusstsein der Menschen in den neuen Bundesländern. Der Wissenschaftler: »Es hilft dem Osten, die Einheit selbstverständlicher zu nehmen.«
Angesichts der Tatsache, dass zwei gleichgroße politische Lager die Regierung bilden, müsse man vom Bild des durchsetzungskräftigen Kanzlers Abschied nehmen. Weidenfeld: »Angela Merkel kann keine Basta-Regierungschefin wie Schröder werden und auch nicht auftreten wie die eiserne Lady Thatcher.« Wichtiger als Merkel seien die Fraktionschefs für das Funktionieren der Koalition: Sie müssten zwischen selbstbewussten Genossen und Christdemokraten moderieren. Weidenfeld erwartet einen »Alltag harter Detailkompromisse«. Edmund Stoiber als Minister in Berlin könne Probleme in Bayern auslösen. Der Erfolg der CSU im Freistaat hänge mit der Darstellung zusammen, mit den Fehlern in Berlin nicht direkt zu tun zu haben.

Artikel vom 11.10.2005