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Klinsmann stellt die Abwehr um

Schneider und Frings zum Rapport - 10 000 Fans beim Training

Hamburg (dpa). Krisensitzung, Yoga-Übungen, Personal-Wechsel: Mit einem Maßnahmenpaket will Jürgen Klinsmann die Nationalmannschaft nach dem Tiefpunkt in der Türkei wieder auf WM-Kurs bringen.

Nach dem ernüchternden 1:2 von Istanbul greift der Bundestrainer durch und erwartet morgen (20.30 Uhr/ARD) in der Hamburger AOL-Arena bei der Länderspiel-Premiere gegen China von einer umgekrempelten Mannschaft sofortige Wiedergutmachung. »Wir werden die richtigen Schlüsse ziehen und eine Reaktion einfordern auf das schlechte Spiel in der Türkei. Es gibt auch sicherlich die eine oder andere personelle Änderung«, sagte Klinsmanns Assistent Joachim Löw. Balsam für die angeknacksten Seelen war gestern der begeisterte Applaus von 10 000 Fans beim ersten öffentlichen Training.
Schonungslos hatte Klinsmann den Spielern dagegen noch am Sonntagabend in einer 90-minütigen Teamsitzung seine Kritik-Punkte vorgehalten. Vor allem die ungenügende Einstellung wurde angeprangert. »In der ersten Halbzeit waren wir nicht vorhanden. Jeglicher Biss und die Leidenschaft fehlten«, fasste Löw zusammen. Erfahrene Akteure wie Torsten Frings und Bernd Schneider, die Kapitän Michael Ballack ersetzen sollten, müssen sogar nochmals zum Rapport antreten, verriet Löw: »Sie müssen klare Anweisungen geben und Zeichen setzen. Sie müssen die jungen Spieler führen und ihnen Hilfestellung geben. Sie dürfen sich nicht in ihr Schicksal ergeben.«
Gegen China dürfte Frings auch mangels Alternativen Gelegenheit zur aktiven Wiedergutmachung erhalten. Umstellungen wird es wohl in der Abwehr geben, zumal die Youngster Marcell Jansen (Wadenzerrung) und Lukas Sinkiewicz (Mittelfußprellung) angeschlagen sind. Im Sturm steht Miroslav Klose nach seiner Grippe zwar wieder zur Verfügung, aber der Bremer bremste zu große Hoffnungen. »Wenn ich mich nicht hundertprozentig fit fühle, hat es keinen Sinn zu spielen.«
Egal, wer aufläuft, vor heimischem Publikum muss der Sturz in die Krise unbedingt aufgehalten werden. Schadensbegrenzung ist mit einem überzeugenden Sieg gegen die in der WM-Qualifikation gescheiterten Chinesen angesagt. »Die Mannschaft hat die Möglichkeit, wieder einen Fortschritt zu machen«, meinte Team-Manager Oliver Bierhoff.
Wenige Monate nach dem stimmungsvollen Confed-Cup hat Klinsmann die schwierigste Phase bei seinem WM-Projekt zu bewältigen, auch weil der Gegenwind aus der Bundesliga heftiger wird. Er stimmte zwar einem Gipfeltreffen mit den Bundesliga-Managern sofort zu, aber von seinem »durchdachten Plan« will er sich durch »nichts abbringen« lassen. Ob Fitness-Tests oder wie gestern Yoga, alle Maßnahmen bleiben auf den 9. Juni 2006 ausgerichtet. »Wer Champion werden möchte, muss einfach mehr investieren. Die 25 Spieler der absoluten deutschen Elite müssen 15 bis 20 Prozent mehr tun«, erläuterte Löw. Klinsmann stellte die Nationalmannschafts-Ambitionen sogar klar über die Vereinsinteressen: »Unser Maßstab ist die WM und nicht die nationale Meisterschaft.«
In der WM-Saison stagniert seine Rasselbande nach zunächst rasanter Entwicklung. Oliver Kahn schlägt Alarm: »In acht Monaten ist WM. Wir müssen schnellstens schauen, dass wir unser Leistungs-Level steigern.« Doch wo soll Klinsmann den Hebel ansetzen bei einem Team, in dem nur der auch gegen China fehlende Ballack ein Fixpunkt ist?
Die voraussichtliche Aufstellung: Kahn - Friedrich, Mertesacker, Metzelder, Schneider - Ernst - Deisler, Frings, Schweinsteiger - Klose (Kuranyi), Podolski

Artikel vom 11.10.2005