11.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Ende des
Kachelzählens

Stockbauer geht es »richtig gut«

Erlangen (dpa). Rauf und runter. 50 Meter hin, 50 Meter zurück. Jahr für Jahr, mehr als eine Dekade lang - Hannah Stockbauer hat in den Schwimmbecken der Welt die Kacheln bis zum Gehtnichtmehr gezählt.

Und sich gequält. Jeden Morgen früh raus, ab ins Becken, dann in die Schule, Hausaufgaben, zurück ins Training, Kraftarbeit, Gewichte stemmen. Kaum mal eine Atempause, wenig Zeit für das normale Leben einer Heranwachsenden.
Aber jetzt ist Schluss damit. Das, was sich bei der fünffachen Weltmeisterin mit einer selbst auferlegten Pause seit Olympia 2004 und dem zweimaligem Aus im Vorlauf massiv ankündigte, hat Hannah Stockbauer jetzt mit erst 23 Jahren vollzogen. Mit dem Schwimmen ist es vorbei, »es wird definitiv auch keinen Rücktritt vom Rücktritt geben, meine Entscheidung ist endgültig«. Auch, weil es ihr an Land gut geht, »richtig gut. Das Schönste an meinem Leben ohne Schwimmen ist, dass ich Zeit habe, viel zu machen«, ließ sie schon vor Monaten wissen, als sie noch nicht sicher von ihrem Karriere-Ende wusste.
Seit dem 19. August 2004, als sie in Athen über 800 Meter Freistil im Vorlauf scheiterte, hat die 23-Jährige keinen Wettkampf mehr bestritten. Immer wieder gab es die Frage, wann denn das Comeback anstehe. Jetzt, da Klarheit herrscht, »ist das nicht neu für mich. Diese Entscheidung hat sich klar abgezeichnet«, sagt ihr langjähriger Trainer Roland Böller. Und: »Eine Hannah Stockbauer hinterlässt sportlich und menschlich eine Lücke. Aber es war eine tolle Zeit.«
Eine tolle Zeit, in der Hannah Stockbauer zwei Mal zu Deutschlands »Sportlerin des Jahres« und 2003 zur »Welt-Schwimmerin« gekürt wurde. Doch irgendwann tauchte die Überlegung auf, was denn »das Leben danach« mit sich bringen würde. Und weil Hannah Stockbauer halbe Sachen nicht mag, sind die Prioritäten seit längerem klar: »Die Ausbildung steht ganz klar im Vordergrund.« Bei Siemens in Erlangen absolviert sie eine so genannte Stammhaus-Lehre. Im September 2006 will sie geprüfte Industriekauffrau sein.
»Sie hängt an diesem Sport, Schwimmen war für Hannah Stockbauer praktisch das Leben«, sagte gestern Ralf Beckmann. Der Cheftrainer des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) weiß, dass seine einstige Top-Athletin mit der Entscheidung »nicht leichtfertig umgegangen ist oder sich leichten Herzens verabschiedet«. Den DSV bat sie per E-Mail, den endgültigen Rücktritts-Entschluss zu respektieren. »Und natürlich ist das zu respektieren, aber auf der anderen Seite auch zu bedauern«, meinte Beckmann. Denn Hannah Stockbauer sei »ein Glücksfall« für den deutschen Schwimmsport und den Welt-Schwimmsport gewesen.

Artikel vom 11.10.2005