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Die Kraft des Kollektivs

Müllers Silber Resultat der gesamtdeutschen Laufbahn

Leipzig (dpa). Die Überraschungs-Vizeweltmeisterin im Damenflorett hat eine typisch gesamtdeutsche Sportlerlaufbahn hinter sich.

Das Florett-Abc lernte Anja Müller in der Potsdamer Kinder- und Jugendsportschule, in Tauberbischofsheim reifte sie zur Weltklasse-Fechterin, die mit Silber bei der WM in Leipzig endlich den Volltreffer setzte: »Ich bin den sozialistischen Weg aller Sportler gegangen, wie damals üblich«, sagte die Tochter von Gerda und Gerd Müller. Mit Silber hatte 28-Jährige am Sonntagabend nach der Enttäuschung im Herrendegen doch noch für einen gelungenen deutschen WM-Auftakt gesorgt.
Die an der Aufhängung lädierte Medaille aus Meissener Porzellan blieb das einzige Malheur eines unverhofften Coups, der auch durch das unglückliche 10:11 nach »Sudden Death« im Finale gegen die Florett-Ikone Valentina Vezzali nicht geschmälert wurde. Eine 7:3- und 10:8-Führung reichte Anja Müller nicht zum ersten Einzel-Sieg gegen die italienische Olympiasiegerin und Titelverteidigerin. »Sie ist mental so stark und weiß immer, was zu machen ist. Ein Phänomen«, sagte Müller über Vezzali, die vier Monate nach der Geburt von Sohn Pietro ihren sechsten WM-Einzeltitel holte.
Anja Müller hat nur wenig mit einer anderen Florett-Legende gemein. Die Kritik der Olympiasiegerin von 1988, Anja Fichtel, es werde heutzutage zu wenig trainiert, wies die Vize-Weltmeisterin zurück. Seit in Ingo Weissenborn ein ehemaliger Weltmeister und Olympiasieger im Damenflorett die Verantwortung trage, sei im Team »richtig Zug« drin. Seit dem Rücktritt von Sabine Bau 2002 hatte sich die einst erfolgreichste deutsche Waffengattung oft als Ansammlung von Individualistinnen präsentiert. »Alleine kann man nicht Vize-Weltmeisterin werden. Alleine wird keine stark«, sagte Weissenborn.
Der Einzel-Weltmeister von 1991 kann »auch mal rigide werden, wenn einmal nicht gut trainiert wird«. Weissenborn zog als Vertreter der taktischen DDR-Fechterschule im Olympiastützpunkt Tauberbischofsheim spürbar die Zügel an. »Ich musste die Mädels erst einmal überzeugen, auch im Training an die Grenze zu gehen. Das gab öfter mal gequälte Augen.« Seit Weissenborn Florett-Bundestrainer sei, habe sich »die Stimmung im Team um 180 Grad gedreht«, meint Anja Müller. »Wir haben jetzt einen Trainer, der hinter uns steht.« Ihr Freund Lars Schache ist als Weltklasse-Florettfechter nun nicht mehr für das Coaching, sondern nur noch für die private Betreuung da.

Artikel vom 11.10.2005