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Mit Themen der Zeit emotional berühren

Tanzensemble eröffnet das Theaterfestival 360û

Bielefeld (uj). Was soll man von einem Titel halten, der keinen Sinn ergibt? »Gestern werde ich das Morgen für Heute bestimmen« heißt der dreiteilige Tanzabend, mit dem sich Gregor Zöllig und das Tanztheater-Ensemble dem Publikum vorstellen. Zugleich wird mit der Premiere am Freitag, 14. Oktober, im Theaterlabor das Internationale Theaterfestival 360û eröffnet.

»Der Titel spielt mit der Wahrnehmung von Zeit«, verdeutlicht Bielefelds neuer Chefchoreograf. Auch die thematische Klammer der drei Choreografien mit den Namen »Schuhstück«, »Speedless« und »Crash« bestünde in dem Aufspüren von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, so Zöllig.
Frauen sagt man einen Schuhtick nach, doch auch Männer wollen mit der Wahl ihres Schuhwerks bestimmte Signale setzen. »Sind die Augen der Zugang zur Seele, geben Schuhe Auskunft über den Charakter eines Menschen«, meint Zöllig und nutzt die unterschiedlichsten Fußbekleidungen, um in präzisen Momentaufnahmen Persönlichkeiten, Schicksale oder Träume aufzuzeigen. »Es wird lustig, skurill und farbenfroh«, verspricht Dramaturgin Christine Grunert. Und interaktiv, darf man wohl hinzufügen. Wer will, kann an der Garderobe seine Schuhe abgeben und es sich in dicken Socken gemütlich machen. Die eigenen Treter fließen dann noch ins Bühnenbild ein, für welches Imme Kachel ein großes Schuhregal kreierte.
40 Minuten dauert der Spaß, dann wird's ernst. Zur Uraufführung kommt »Crash« und alles bricht zusammen. Erst das Bühnenbild, dann die Menschen. »Die Frage, was passiert nach dem Zusammenfall von Bestehendem, hat uns interessiert«, umschreibt Gregor Zöllig das übergeordnete Thema. Es sei ein sehr emotionales Stück geworden, gibt er zu bedenken. Berührungen erzeugen, um den geistigen Diskurs anzuregen, ist dem neuen Tanzchef ein großes Anliegen. Und das Thema liegt in der Zeit: »Auf Beständigkeit kann man heute nicht mehr hoffen«, sagt Zöllig und erklärt, in »Crash« die Facetten veränderter Lebenssituationen aufzuzeigen.
Auch mit »Speedless« greift Zöllig zu einem Thema von großer Aktualität. In den Fokus geraten die Rastlosigkeit und das Problem des Zeitverlustes in unserer Gesellschaft. Wie werden sich die zunehmenden Forderungen nach Effektivität und Flexibilität auswirken? Was geschieht mit den Menschen, wenn sie älter werden? Und mit welchen körperlichen und seelischen Auswirkungen muss gerechnet werden? Mit den Mitteln des rein abstrakten Tanzes hinterfragt Zöllig in »Speedless« ein typisches Phänomen unserer Zeit.
Die Premiere im Theaterlabor, Dürkopp Tor 6, beginnt um 20 Uhr.

Artikel vom 12.10.2005