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Wagner am Wiehengebirge
Die Herausforderung angenommen: Der bekannte Regisseur Keith Warner studiert in Minden den »Tannhäuser« ein
Weserstadt wird Wagnerstadt. Nach der »Holländer«-Inszenierung im Jahr 2002 wird in Minden erneut eine Oper des berühmten Komponisten einstudiert. Die Schirmherrschaft über die »Tannhäuser«-Aufführung übernimmt Wolfgang Wagner - Premiere im Stadttheater ist am 21. Oktober.
Der Sprung vom Grünen Hügel in Bayreuth zu einem Stadttheater am Rande des preußischen Wiehengebirges mag weit sein - gänzlich unmotiviert indes ist er nicht. Seit mehr als 90 Jahren trägt der Mindener Richard-Wagner-Verband zur kulturellen Belebung der Stadt bei, im Jahr 1919 wurden erste Kontakte zur Familie Wagner geknüpft. Diese Freundschaft besteht bis heute. So sei die Enkelin des Komponisten, Verena Lafferentz-Wagner, Ehrenmitglied des Mindener Verbandes, erklärt dessen Vorsitzende Dr. Jutta Hering-Winckler. Ehrensache, dass die Bayreutherin zur Premiere ihr Kommen zugesagt hat.
Und aus Bayreuth kam auch wertvolle Rückendeckung, als es darum ging, in Minden das Wagnis Wagner nach 2002 ein zweites Mal einzugehen. Frau Lafferentz-Wagner sei von der damaligen Aufführung des »Fliegenden Holländers« sehr angetan gewesen, erläutert Hering-Winckler. Wolfgang Wagner, Leiter der Bayreuther Festspiele, wiederum fand lobende Worte für die Qualität der Nordwestdeutschen Philharmonie aus Herford. Ein guter Gesamteindruck blieb - irgendwann stellten die damals Beteiligten folgerichtig die Frage, die vor allem für Jutta Hering-Winckler viele, viele Stunden ehrenamtlicher Arbeit nach sich zog und noch zieht: Ob man nicht noch einmal gemeinsam eine Wagner-Oper einstudieren sollte.
Und so nahm vor knapp zwei Jahren ein Großprojekt Gestalt an, das in neun Aufführungen (Premiere am nächsten Freitag, 21. Oktober, um 18 Uhr) gipfeln wird. Weil die Bayreuther »ihre« kulturbetriebsamen Mindener lieben gelernt haben, stellten sie den Kontakt zu einem Regisseur her, der als Wagner-Kenner Weltgeltung genießt: Keith Warner.
In Bayreuth inszenierte der Engländer den »Lohengrin«, in London brachte er den »Ring« auf die Bühne. Dass es gelungen ist, den Regisseur für Minden zu gewinnen, betrachtet Hering-Winckler noch immer als riesigen Glücksfall: »Als Herr Warner das erste Mal bei uns war, habe ich gedacht, das macht der nie.« Eine vergleichsweise kleine Theaterbühne, ein Orchestergraben, in dem nur wenige Musiker Platz finden, dazu ein Schauspielhaus ohne eigenes Ensemble: Anstatt abgeschreckt zu reagieren, soll der Regisseur Augenzeugen zufolge gesagt haben: »Das ist die letzte Herausforderung, der sich ein Regisseur stellen kann.«
Hinzu kommt der Reiz der Nähe. Dem dicht an der Bühne sitzenden Publikum entgeht keine Geste, kein Mienenspiel der Akteure.
Voller Dynamik nahm sich Keith Warner der Aufgabe an - ein Theater-Besessener, der die Möglichkeiten der kleinen Bühne genau auslotet und auf sie reagiert. So indem er eine Massenszene im zweiten Akt (Einzug der Gäste beim Sängerstreit) per Filmaufnahme auf die Bühne projizieren lässt. Entstanden waren die Bilder ebenfalls im Mindener Stadttheater, als die Bürger aufgerufen waren, sich als Statisten zur Verfügung zu stellen. Weiß gekleidet und geschminkt nahmen sie im Zuschauerraum Platz - und werden so Teil der Aufführung.
Die Einbeziehung der Bürgerschaft ist Programm. Zur Begeisterung für die Musik Richard Wagners kommt bei Hering-Winckler die Verbundenheit mit der Region, die sie antreibt, bei Sponsoren und Stiftungen für ihr Ansinnen zu werben. Dass sie beim Stadttheater-Team und der NWD auf äußerst engagierte Kooperationspartner trifft, gehört zu den weiteren Voraussetzungen eines gelungenen Wagner-Projektes.
Und dann das Interesse der Jugend. Die hiesigen Wagnerianer resignierten nicht, als sie erkennen mussten, dass ein Opernbesuch längst nicht mehr zum Standard-Programm junger Menschen gehört. Das Motto des Verbandes: »Wenn die Jugendlichen nicht zu Wagner gehen, bringen wir Wagner zu ihnen.« Eng wurde mit den Schulen zusammengearbeitet, Schüler nahmen die Gelegenheit wahr, die Proben zu verfolgen. Ein zusätzliches Bonbon der Veranstalter; denn Stars wie Keith Warner oder die Sopranistin Anne Schwanewilms kann man nicht jeden Tag aus allernächster Nähe erleben.
Die Menschen für Richard Wagner zu gewinnen, deutlich machen, dass seine Opern auch im 21. Jahrhundert etwas zu sagen haben: Dass ihr Hauptanliegen erfüllt wird, erfahren die Verantwortlichen bereits durch das »überwältigende Interesse« im Vorfeld der Aufführung. Lediglich Einzelkarten sind noch erhältlich.
Weitere Informationen gibt es bei Jutta Hering-Winckler unter Telefon 05 71/2 05 77. Hartmut Horstmann
www.tannhaeuser-minden.de

Artikel vom 15.10.2005