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Freifahrtschein für Querulanten

Gerichtsvollzieher übel beleidigt: Rentner ist schuldunfähig

Bielefeld/Herford (uko). Erstmals hat das Bielefelder Landgericht einem »notorischen Querulanten« einen »Freifahrtschein« ausgestellt. Weil der Herforder Siegbert G. (Name geändert) trotz massiver Beleidigungen eines Herforder Obergerichtsvollziehers schuldunfähig sei, wurde der 63-Jährige am Freitag freigesprochen. Für das bisher einzigartige Votum hatte das Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie gesorgt.

Nach einem Verkehrsunfall, an dem er schudlos war, geriet der gelernte Maschinenbauer Anfang der 90-er Jahre auf die schiefe Bahn. Finanzielle Probleme häuften sich, während die Unfallregulierung nur schleppend verlief und zum Teil noch heute vor einer Zivilkammer des Bielefelder Landgeichts bearbeitet wird. Siegbert G. wurde zunehmend zu einem Fall für die Justiz, weil er sich auch durch fortlaufende Pfändungen und Vollstreckungen ungerecht behandelt sah.
In der Zeit vom 2. bis zum 16. Dezember 2002 gipfelte seine Entrüstung schließlich in 29 verbal-agressive und üble Beleidigungen, deren Zielscheibe ausschließlich ein Herforder Obergerichtsvollzieher war, der bei ihm korrekt vollstreckt hatte. Dabei waren Fäkalbeschimpfungen ebenso wie Todesdrohungen (»Deine Tage sind gezählt«, »Ich mache dich fertig«, »Ich habe meine Leute, die machen dich kalt«) wie Anspielungen auf die Justiz.
Das Amtsgericht Herford verurteilte Siegbert G. im Februar 2004 zu sechs Monaten Bewährungsstrafe. Das Landgericht verhandelte die Berufung erstmals im Juli 2004, dabei kam die Vermutung einer zumindest teilweisen Schuldunfähigkeit des Mannes auf. Ein Steinhagener Psyhiater fand in einer zweistündigen Besprechnung mit Siegbert G. ein »ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl« vor, aus einem gesteigerten Pflichtbewußtsein habe sich indes »ein querulativer Wahn« entwickelt. G. sehe »Verbündete« (auf Seiten der Justiz, d. Red.) und Gegner, wo keine sind«. Wegen dieses »heiligen Zorns«, so folgerte der Psychiater, sei die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit aufgehoben. Die Prognose des Gutachters: »Was seine Anliegen mit der Justiz angeht, wird es keine Einsichtsfähigkeit geben.«
Nach diesem Diktum gab es für die Richter der 6. Strafkammer nur einen Freispruch hinsichtlich der Beleidigungen. Vorsitzender Richter Wolfgang-Heinrich Vincke stellte dem Herforder allerdings eine düstere Zukunftsprognose aus. Siegbert G. solle sich »freiwillig in Behandlung begeben«, riet er. Künftige Verfahren gegen ihn müßten nicht zwingend »mit einem Freispruch enden. Wenn aus den Beleidigungen Aggression wird, dann landen Sie in einem psychiatrischen Krankenhaus.« Zum Beleg merkte Vincke vielsagend an, Siegbert G., der im Landgericht Bielefeld als Zuhörer in den Sälen ein Dauergast ist, habe doch erst jüngst einen Oberstaatsanwalt recht rüde angegangen . . .

Artikel vom 08.10.2005