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Ansturm der Afrikaner auf Traumziel Europa

Eine gemeinsame Flüchtlingspolitik der EU fehlt

Melilla/Rabat (dpa). Spanische und marokkanische Grenzschützer haben gestern einen neuen Massensturm von 1000 Afrikanern auf die spanische Exklave Melilla abgewehrt. Die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko sind für viele Afrikaner zum Einfallstor nach Europa geworden.

Die Afrikaner hatten drei Versuche unternommen, die Stacheldrahtzäune an der Grenze zu überwinden. Nach Angaben der Behörden gelang es nur einem von ihnen, die zu Spanien gehörende Stadt zu erreichen.
Die spanische Regierung bereitete derweil die Abschiebung von Flüchtlingen nach Marokko vor. Die Führung in Rabat hatte sich am Vortag bereit erklärt, Flüchtlinge aus den spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla wieder aufzunehmen. Die spanische Vizeregierungschefin María Teresa Fernández de la Vega erklärte, der Beginn der Abschiebungsaktion stehe unmittelbar bevor. Sie wollte aber nicht sagen, wie viele Afrikaner nach Marokko zurückgeschickt werden. In den völlig überfüllten Lagern in Ceuta und Melilla sind mehr als 1500 Flüchtlinge untergebracht.
Viele afrikanische Migranten, die sich illegal nach Europa durchschlagen, gehören nicht zu den Ärmsten der Armen. Auch wenn die Medien Gestalten in zerlumpten Kleidern zeigen, so hatten die meisten zu Beginn ihrer Reise bis zu 10000 Dollar zur Verfügung. So viel kann die Reise kosten, die extreme Risiken und große Hoffnungen auf das Traumziel Europa mit sich bringt. Doch die Chancen, den Kontinent zu erreichen, werden immer geringer.
Die wenigsten von ihnen haben das Geld für die Schlepper allein aufgebracht. Oft hat die ganze Dorfgemeinschaft zusammengelegt, um einen von ihnen nach Europa zu schicken. Es sind meistens junge Männer, die kräftig und arbeitswillig sind. Sie wollen in erster Linie Geld verdienen, um ihre Familien in der Heimat zu unterstützen, die oft in bitterer Armut leben.
Von Europa wissen viele Afrikaner vor allem, dass es dort Arbeit gibt, wenn auch nur unter Bedingungen, die viele Europäer nicht akzeptieren würden. Wie viele Afrikaner sich jedes Jahr ohne die nötigen Papiere auf den gefährlichen Weg nach Europa machen, weiß niemand. »Das Problem der illegalen Einwanderung ist, dass wir erst davon erfahren, wenn es Unfälle gibt«, sagt Jean-Philippe Chauzy von der Internationalen Organisation für Migration.
Die Europäische Union steht vor einem großen Problem. Der Massenansturm auf Ceuta und Melilla verlangt nach einer gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik. Doch die gibt es nicht. Innenminister Otto Schily (SPD) hatte erneut Mitte September beim Treffen mit seinen EU-Kollegen vorgeschlagen, in Nordafrika Aufnahmeeinrichtungen und EU-Anlaufstellen für Flüchtlinge einzurichten. Vor allem sollten Menschen nicht länger unter Lebensgefahr versuchen, EU-Gebiet zu erreichen. Eine Einigung ist nicht in Sicht.

Artikel vom 07.10.2005