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Anja im Silber-Glück

Nur Valentina Vezzali war besser als Müller

Leipzig (dpa). Florett-Spezialistin Anja Müller hat mit der Silbermedaille bei den Fecht-Weltmeisterschaften in Leipzig für eine Überraschung gesorgt und gleich zum Auftakt das erste deutsche Edelmetall gewonnen.

Während die höher eingeschätzten Degenherren mit dem vorzeitigen Ausscheiden patzten, sorgte gestern ausgerechnet die in den vergangenen zwei Jahren schwächste deutsche Waffe für einen unverhofften Coup. »Ein Traum hat sich erfüllt. Und dann noch in Leipzig vor meiner ganzen Familie meine erste WM-Medaille zu gewinnen, das ist einfach klasse«, sagte die aus Potsdam stammende und für Tauberbischofsheim startende Müller nach ihrer erster WM-Medaille.
Ihr größter Erfolg wurde auch durch die 10:11-Niederlage nach »Sudden Death« im Finale gegen Titelverteidigerin Valentina Vezzali (Italien) nicht geschmälert. Beim zwischenzeitlichen 7:3 sah es sogar nach dem ersten WM-Titel im Damenflorett nach Sabine Bau 1998 aus. Vezzali gelang nur vier Monate nach der Geburt von Sohn Pietro ein glänzendes Comeback.
Die 28-jährige Müller hatte zunächst im Viertelfinale die Chinesin Lei Zhang 12:11 nach »Sudden Death« besiegt und damit bereits Bronze sicher. In der Runde der letzten Vier gewann sie mit 15:7 gegen die Französin Adeline Wuilleme. Florett-Bundestrainer Ingo Weißenborn hatte Müller (»Sie ist sehr zielstrebig und manchmal etwas undiszipliniert«) nach drei Podestplätzen in der vergangenen Weltcup-Saison allenfalls den Sprung unter die ersten Acht zugetraut.
Hingegen fehlte den Degenherren das Trefferglück in der Verlängerung. Daniel Strigel (Tauberbischofsheim) verlor im Achtelfinale gegen den Niederländer Bars Verwijlen trotz einer 14:11-Führung noch mit 14:15. Teamkollege Sven Schmid, der sich zuvor in einem deutsch-deutschen Duell gegen Norman Ackermann durchgesetzt hatte, unterlag dem vierfachen Weltmeister Pawel Kolobkow (Russland) mit 10:11 ebenfalls nach Verlängerung. Kolobkow sicherte sich 12 Jahre nach seiner ersten Weltmeisterschaft 1993 in Essen seinen fünften WM-Titel durch ein 15:14 im Finale gegen Fabrice Jeannet (Frankreich).
Degen-Bundestrainer Walter Steegmüller zog ein bitteres Fazit: »Ich bin enttäuscht. Wir hatten zwei erfahrene Fechter und ich hätte erwartet, dass zumindest einer eine Medaille gewinnt.« Gegen den unorthodox und auf volles Risiko fechtenden Verwijlen zeigte Strigel seine alte Schwäche, hohe Führungen nicht zu nutzen. »Wenn man hier eine Medaille holen will, darf man nicht gegen einen Bos Verwijlen verlieren«, sagte Strigel, der sich in bester Gesellschaft befand. Denn Olympiasieger Marcel Fischer (Schweiz) unterlag im Viertelfinale gegen Verwijlen. »Wir Holländer können nicht nur gut Fußball spielen. Siege gegen Deutsche tun auch den Fechtern gut«, sagte Verwijlen.
Schmid lieferte gegen Degen-Ikone Kolobkow einen guten Kampf und hatte sich im Gegensatz zu Strigel nur vorzuwerfen, den entscheidenden Treffer nicht gesetzt zu haben. »Ich meinte, das Klicken meiner Degenspitze schon gehört zu haben. Ich habe gedacht, heute packe ich das. Aber ich hatte im alles entscheidenden Moment nicht den Mut«, sagte er.

Artikel vom 10.10.2005