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Schaufeln statt
Säbelfechten

Kothny baute nach Tsunami Dorf auf

Leipzig (dpa). Es war der Tag des Tsunami: Am 26. Dezember 2004 entschied sich Willy Kothny gegen die Lektionen auf der Planche und stellte sich den Lehrstunden des manchmal brutalen Lebens.

Als der thailändische Säbelfechter, der bei Olympia 2000 zwei Bronzemedaillen für Deutschland holte, von der Flutwelle in Südostasien hörte, flog er in die Katastrophenregion und begann zu helfen, statt weiter zu trainieren. Der 26-Jährige wird bei der Fecht-Weltmeisterschaft in Leipzig keine Medaille gewinnen und gehört doch schon vor Beginn der Titelkämpfe an diesem Samstag zu den Siegern. Kothny baute das total zerstörte Dorf Ban Bangsak mit auf und sammelte eine halbe Million Euro Spenden.
Sich behaupten musste Kothny sein Leben lang. Als der gebürtige Thailänder aus armen Verhältnissen drei Jahre alt war, heiratete seine Mutter einen Deutschen und zog mit ihm in die Fremde. In Koblenz reifte er zum Weltklassefechter, der sich mit spektakulären Aktionen auf der Planche den Beinamen Mungo verdiente. Doch je älter er wurde, desto drängender wurden die Fragen nach seiner Identität. Kothny kehrte nach Thailand zurück und begann in Bangkok Kommunikationswissenschaften zu studieren. Als es mit dem Deutschem Fechter-Bund (DFeB) zu Querelen kam, wechselte der Europameister von 1999 die Nationalität. Bei Olympia 2004 trat er für sein Geburtsland an und belegte Rang 13.
Das bescheidene Ziel für Leipzig lautet, unter die besten 64 zu kommen. In der Weltrangliste rutschte er auf Platz 58 ab und muss sich am Sonntag erst einmal durch die Vorrunde quälen. Doch was ist das für eine Mühe im Vergleich zu seinem Einsatz seit Ende Dezember? Zunächst half er in Phuket, Tote und Verletzte aus den Trümmern zu bergen. Als Dolmetscher musste er Touristen Todesnachrichten übermitteln. Später organisierte er Trinkwasser, bis er das Dorf Ban Bangsak entdeckte. 1600 Einwohner waren obdachlos, 67 der 5400 thailändischen Opfer waren hier zu beklagen, 87 der 100 Häuser hatte der Tsunami mit sich gerissen.
Willy Kothny beschloss, zu helfen. Er gründete mit seinem Adoptivvater Erik den Verein »Willy hilft«. Von den Spendengeldern erstellte er mit einem thailändischen Architekten einen Plan, wie das Dorf wieder aufgebaut werden kann. Die Hilfe zur Selbsthilfe ist simpel: Jeder Dorfeinwohner erhielt täglich umgerechnet drei Euro, um sein Haus selbst neu entstehen zu lassen. »Wir wollten nichts tun, was die Leute nicht gutheißen und legen Wert darauf, dass sie selbst mitanfassen. Denn so können sie das Schreckliche besser verarbeiten«, sagt Kothny.
Inzwischen stehen in Ban Bangsak wieder 37 Häuser und Willy Kothny trainiert wieder. Olympia 2008 in Peking ist sein großes Ziel. »Der Mensch braucht eben Träume«, sagt Kothny.

Artikel vom 08.10.2005