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Schneewittchen wurde
vermutlich vergiftet

ZDF-Reihe untersucht historischen Gehalt der Märchen

Von Dörte Von Linden
ZDF, Sonntag, 19.30 Uhr: Schneewittchen und die sieben Zwerge - wer kennt nicht diesen Exportschlager deutscher Kultur? »Schneewittchen und der Mord in Brüssel« zeigt nun, dass nicht nur diese Grimmsche Erzählung Parallelen in der Geschichte hat.

In der Reihe »Märchen & Sagen« werden auch »Der Rattenfänger und die verschwundenen Kinder« (16. Oktober) sowie »Sterntaler und das himmlische Gold« (23. Oktober) auf ihren historischen Gehalt hin untersucht
Den Erkenntnissen des hessischen Heimatforschers Eckhard Sander zufolge lebte im 16. Jahrhundert die junge Margaretha von Waldeck. Auch sie wuchs nach dem Tod der Mutter mit einer Stiefmutter auf und wurde - als sie zur Schönheit heranreifte - über sieben Berge (das Siebengebirge) geschickt an den Hof von Brabant, dem heutigen Brüssel. Dort wurde sie vermutlich vergiftet. Hintergrund: Sie soll dem spanischen Thronfolger Philipp so den Kopf verdreht haben, dass dieser eine nicht standesgemäße Hochzeit mit Margaretha erwogen haben soll.
In jahrelanger Kleinarbeit hat Sander aus Archiven in Marburg und Bad Wildungen Schriften zusammengetragen, die den Lebensweg der Margaretha belegen. Die Brücke zu den Grimms: Ihre nächsten Verwandten fuhren regelmäßig nach Bad Wildungen, um dort zu kuren. Und die Brüder griffen in ihren Märchen erwiesenermaßen auf Erzählungen zurück, die ihnen von Ortsansässigen zugetragen wurden.
Der zweite der drei Filme, »Der Rattenfänger und die verschwundenen Kinder«, beschäftigt sich mit einem Vorfall aus dem Jahr 1284: Damals verschwanden aus der Kaufmannsstadt Hameln 130 Kinder auf ungeklärte Art und Weise. Die Brüder Grimm beriefen sich allein auf elf Quellen.
Einer Variante zufolge waren die Kinder eher junge Erwachsene, die sich der Siedlungsbewegung nach Osten anschlossen. Belegt ist, dass bunt gekleidete Werber mit Trommeln und Pfeifen damals durch die Städte zogen, um Siedler für Brandenburg und Pommern zu gewinnen. So konnte der Namensforscher Jürgen Udolph allein in diesen Gebieten zwölf Orte nachweisen, die ähnlich heißen wie frühere Dörfer aus Hameln und dem Weserbergland.
Auch das Märchen »Die Sterntaler« hat demnach einen historischen Hintergrund. Im Laufe des 18. Jahrhunderts fanden Bauern in Süddeutschland vor allem nach heftigen Regenfällen immer wieder goldene Münzen. Die Grimms präsentierten das Märchen 1819 noch als rein religiöses Gleichnis: Wer barmherzig ist und entsagt, der wird entweder vor oder nach dem Tod entlohnt. Doch 1860 gelang es, den Hintergrund der seltsamen Münzen nachzuweisen: Sie stammten aus der Zeit der Kelten. Regenfälle hatten die Goldstücke freigeschwemmt.

Artikel vom 08.10.2005