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Schweigen in der Kanzlerfrage

Kauder optimistisch - neues Spitzengespräch über Koalition am Sonntag

Berlin (Reuters/dpa). Union und SPD sind bei ihrem ersten Spitzengespräch einer großen Koalition nach Einschätzung von CDU-Generalsekretär Volker Kauder einen Schritt näher gekommen. »Ich denke, wir sind auf einem guten Weg«.

Die Gesprächspartner hätten vor allem über personelle Fragen beraten. Der Hauptstreitpunkt, wer in einer großen Koalition den Kanzler stellt, blieb nach Äußerungen führender SPD- und Unionspolitikern noch ungeklärt. Ein weiteres Spitzengespräch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder, SPD-Chef Franz Müntefering, der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber am Sonntagabend soll den Durchbruch bringen. Vertreter beider Lager erklärten sich zur Einigung bereit, schlossen aber auch ein Scheitern nicht aus.
Das erste so genannte Acht-Augen-Gespräch über die Bildung einer großen Koalition dauerte am Donnerstagabend vier Stunden. Die Beteiligten wollten sich öffentlich nicht äußern.
»Das Einzige, was nicht verhandelbar ist, ist das Amt des Bundeskanzlers«, betonte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident. Wolfgang Böhmer (CDU). Der niedersächsische Regierungschef Christian Wulff (CDU) bekräftigte, die Union werde weder auf das Kanzleramt noch auf das Amt des Bundestagspräsidenten verzichten. Die SPD brauche wohl bis Sonntag, um einzuräumen, dass die stärkste Fraktion beide Posten besetze.
In der SPD-Bundestagsfraktion stellten sich die Linke und der konservative Seeheimer Kreis hinter Schröder. »Wir setzen uns dafür ein, dass Gerhard Schröder Bundeskanzler bleibt«, teilten sie in einer gemeinsamen Erklärung mit. Die SPD müsse hart bleiben.
Im ersten Spitzengespräch soll es neben der Kanzlerfrage unter anderem um die Zahl der Ressorts und mögliche Zugriffsrechte beider Seiten auf Ministerien gegangen sein. In der Union wird seit Tagen darüber diskutiert, ob der SPD in der Summe ein Ressort mehr angeboten werden müsse - als Zugeständnis für die Anerkennung einer Kanzlerin Merkel. Insgesamt wird auf beiden Seiten mit sehr schwierigen Verhandlungen gerechnet.
Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) zeigte Verständnis für die SPD-Forderung nach Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe. Er halte es aber für unrealistisch, dass die SPD ein Ressort mehr und das erste Zugriffsrecht auf die Ministerien bekomme. Die SPD müsse anerkennen: »Der größere Partner stellt den Kanzler.« SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler erklärte, für ihn sei »die Entscheidung über die Kanzlerfrage oder die Führungsstruktur überhaupt noch nicht ausgestanden«. Er plädiere weiter für Schröder als Kanzler. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) meinte, die ungeklärte Kanzlerfrage sei kein grundlegendes Problem für das Zustandekommen einer großen Koalition. Vor einer Klärung der Personalfragen müssten Union und SPD Wirtschaft und Soziales gleich gewichten.
Die meisten Bundesbürger wollen eine große Koalition. Im ZDF-Politbarometer finden 63 Prozent eine Zusammenarbeit von Union und SPD gut, 25 Prozent schlecht. Wenn es zur Bildung einer großen Koalition käme, sprechen sich nur noch 42 Prozent für einen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) aus (minus 4), 47 Prozent würden eine Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bevorzugen (plus 2). Eine Mehrheit von 56 Prozent unterstützt es, wenn an Stelle von Schröder oder Merkel jemand Drittes Kanzler einer großen Koalition würde. Seite 4: Leitartikel

Artikel vom 08.10.2005