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»Chef, die putzen wir weg«

Deutsch-türkische Länderspiel-Geschichte: Bern war eine wichtige Station

Von Klaus Lükewille
Istanbul(WB). 16 Spiele. 11 Siege. 3 Unentschieden. Und nur zwei Niederlagen. 39:8 Tore. Die Gesamtbilanz liest sich aus Sicht des Deutschen Fußball-Bundes sehr positiv. Und in der langen Länderspiel-Geschichte gegen die Türkei, da gibt es zwei Ergebnisse, die einen ganz besonders hohen Stellenwert besitzen. 4:1 und 7:2.

Zwei Siege, die den Weg zu einem unvergesslichen Triumph ebnen sollten. Zwei Siege, die die deutsche Nationalmannschaft innerhalb von nur sechs Tagen feierte. Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz: Erstmals durfte die DFB-Auswahl nach dem 2. Weltkrieg wieder an der Endrunde teilnehmen und wurde nur als Außenseiter gehandelt.
In der Gruppe 2 waren die Ungarn und die Türken gesetzt. Südkorea und Deutschland füllten das Quartett auf, sie hatten nach dem Modus gegen die Favoriten anzutreten. Den Türken blieb das Duell gegen die für unschlagbar gehaltenen Ungarn erspart.
Welcher Weg führte ins Viertelfinale? Bundestrainer Sepp Herberger fand den richtigen Pfad: »Wir müssen die Türken zwei Mal schlagen, dann sind wir durch. Gegen die Ungarn können wir sowieso nicht gewinnen.«
Die List ist längst Legende. Deutschland startete am 17. Juni mit einem 4:1-Erfolg gegen die Türkei in das WM-Turnier. Übrigens an einem Schauplatz, der am 4. Juli gegen Ungarn zur finalen Triumphstätte werden sollte: im Berner Wankdorf-Stadion. Dass damals die Türken früh mit 1:0 in Führung gingen, schockte die Deutschen nicht. Max Morlock spielte den Antreiber: »Macht nix, Jung's, jetzt erst recht.« Der Nürnberger ging dann mit trefflichem Beispiel voran. Er zählte neben Ottmar Walter, Hans Schäfer und Berni Klodt zu den Torschützen.
Das zweite Gruppenspiel »schenkte« Herberger weg. Er ließ gegen die Ungarn fast nur Reservisten auflaufen und nahm die Kritik nach dem 3:8 von Basel ganz gelassen zur Kenntnis: »Abwarten, meine Herren, eine Chance haben wir noch.« Es kam, wie vom alten Trainer-Fuchs kühl kalkuliert, zum entscheidenden zweiten Duell gegen die Türkei.
Diese Partie fand am 23. Juni im Hardturm-Stadion von Zürich statt. Herberger nominierte jetzt selbstverständlich wieder seine beste Mannschaft und beschwor die Auserwählten in der Kabine: »Männer, ihr wisst, um was es heute geht. Ein Sieg - und wir sind im WM-Viertelfinale.«
Alle hatten verstanden. Und wieder machte sich Morlock zum Sprecher der Truppe: »Chef, die putzen wir weg.« Und wie! Als der französische Schiedsrichter Vincenti die Partie abpfiff, stand es 7:2 für Deutschland. Motivator Morlock hatte diesmal sogar drei Tore erzielt, für den Rest waren Hans Schäfer (2), Ottmar Walter und Fritz Walter verantwortlich.
»Der türkische Halbmond geht unter.« So heißt das Kapitel über dieses denkwürdige 7:2 von Zürich im WM-Klassiker »3:2« von Kapitän Fritz Walter. Nur einer jubelte nicht mit, er wurde dafür am 4. Juli aber um so begeisterter gefeiert: Helmut Rahn, der weltmeisterliche Torschütze, er war gegen die Türkei nur zweite Wahl.
Nach der WM 1954 sollten die beiden Rivalen nie wieder bei großen Turnieren aufeinander treffen. Duelle wurden lange Jahre auf freundschaftlicher Ebene ausgetragen - bis 1998/99: Da spielten Deutschland und die Türkei bei der EM-Qualifikation in einer Gruppe. Die DFB-Auswahl gewann in Bursa mit 1:0, im Rückspiel in München reichte ein 0:0 zur Endrunden-Teilnahme 2000.
Diese Nulldiät, das war der vorerst letzte Vergleich der beiden Teams. Die Türken freuen sich jetzt auf das Wiedersehen. 75 000 Zuschauer werden morgen in Istanbul erwartet. Wobei ihre Elf schon damals, am 9. Oktober 1999, ein »Heimspiel« hatte und nicht nur auf Rasen überlegen war: Im Olympia-Stadion flatterten 40 000 Fahnen mit dem Halbmond.

Artikel vom 07.10.2005