Von Hartmut Horstmann Bielefeld (WB). Der Zwischenruf eines empörten Zuhörers ist in die Musikgeschichte eingegangen. »Judas!« schrie der Konzertbesucher, und sein Zorn galt keinem Geringeren als Bob Dylan, dem Sprachrohr einer aufbruchsbereiten Generation.
Der Eklat eines England-Konzertes im Mai 1966 ist aufgezeichnet worden, der Auftritt kann mittlerweile auf CD erworben werden. Nachdem der aufgebrachte Mann »Judas« gebrüllt hatte, ließ Bob Dylan fast schon demonstrativ das Lied folgen, das Kritiker später zum besten Song aller Zeiten wählen sollten: »Like a Rolling Stone.« Mit der Geschichte des Liedes, seinem Entstehen und seinem gesellschaftlichen Umfeld, befasst sich der Dylan-Experte Greil Marcus in seinem neuen Buch, das nach dem Songtitel benannt wurde. Als der »Rolling Stone« 1965 erschien, sprengte er bereits auf Grund seiner Sechs-Minuten-Länge die bis zu dem Zeitpunkt gängigen Pop-Formate. Auf den ersten Singles wurde das Lied auf A- und B-Seite verteilt. Erst als bei den Radiosendern daraufhin Proteste aufliefen, weil die Hörer wollten, dass das gesamte Lied gespielt wird, reagierten die Plattenbosse. Eine neue Pressung kam auf den Markt. Auf fast 300 Seiten versucht Greil Marcus herauszuarbeiten, weshalb der Song niemanden gleichgültig lassen konnte. Der vermeintliche »Judas« Dylan war stilistisch von der Folk-Musik zum härteren, mit E-Gitarre gespielten Beat gewechselt. Ein Weg weisender Schritt, den ihm viele Puristen als »Verrat« übel nahmen. Doch die Welt der 60er Jahre drehte sich wie ein Rollender Stein, der immer stärker beschleunigt. Die Dylan-Spötter verstummten, das Lied wurde zum Synonym für das Lebensgefühl eines Jahrzehnts. Bruce Springsteen erinnert sich Jahre später an den Eindruck, den das Lied »Like a Rolling Stone« beim ersten Hören auf ihn machte: »Ich saß mit meiner Mutter im Auto, und im Radio lief das Programm von WMCA, und plötzlich ertönte da dieser Trommelschlag, der so klang, als hätte jemand eine Tür in meinem Kopf aufgetreten.« Greil Marcus: »Like a Rolling Stone. Die Biographie eines Songs«. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 9.90 Euro.
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