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»Mein Lächeln ist gegangen«

Soname Yangchen hat überlebt und ihr Schicksal in die Hand genommen

Von Burgit Hörttrich
Bielefeld (WB). »Mein Lächeln ist gegangen«, sagt Soname Yangchen. Sie musste in ihrer Kindheit in Tibet wie eine Sklavin schuften, ihre Familie wurde schikaniert, sie überlebte eine abenteuerliche Flucht, schlug sich als Putzfrau durch, musste ihre Tochter ins Waisenhaus geben - und doch hat sie die Hoffnung nie aufgegeben.

Sie hat ihr Schicksal in dem Buch »Wolkenkind« verarbeitet, das sie gestern Abend bei »Thalia« vorstellte. Sie ist Musikerin und sie will bei den Menschen, die ihr zuhören, ein Bewusstsein für das Leiden ihres Volkes schaffen. Seit zwei Monaten hat Soname Yangchen einen britischen Pass. Das bedeutet für sie: Sie kann ihre Familie wiedersehen, sie kann die heiligen Orte in Tibet aufsuchen, die sie so schmerzlich vermisst, und sie möchte sich einen kleinen Wunsch erfüllen: »Ich möchte mir in Lhasa die Süßigkeiten kaufen, die ich als Kind nie kaufen konnte und nach denen ich mich so gesehnt habe.« Das war in der Zeit, als ihre Eltern sie bei Verwandten in Sicherheit glaubten, die sie aber wie eine Sklavin schuften ließen.
Sie träumt davon, ihre Tochter zu sich zu holen, betont aber auch: »Ich plane nicht für morgen, ich lebe heute - alles andere ist Karma.«
Die Albträume, die sie in den ersten Monaten nach ihrer Flucht quälten, seien vorbei. Soname Yangchen, zierlich mit unglaublich langen, schwarzen Haaren, erinnert sich: »Manchmal bin ich morgens aufgewacht und dachte, ich hätte Tee machen müssen, hätte verschlafen, hatte Angst vor Strafe. Und als ich dann gemerkt habe, dass ich in Sicherheit war, bin ich vor Freude im Bett auf und ab gesprungen.«
Sie lebt immer noch bescheiden, denkt an Tibet oder an Indien, an die Menschen dort, die manchmal nicht genug zu essen haben und deshalb kauft sie sich manchmal keine Busfahrkarte, sondern geht lieber zu Fuß: »Sonst würde ich mich schuldig fühlen.«
Sie denkt daran, dass es den Kindern in Tibet vom chinesischen Regime streng verboten ist zu beten und daran, dass Kinder in Europa »manchmal gezwungen werden müssen, zur Kirche zu gehen«. Die 32-Jährige: »Ich weiß, dass das Gras auf der Nachbarweide immer grüner scheint, ich weiß, die Welt ist nicht perfekt.«
Sie ist traurig darüber, dass sich ihrer Meinung nach niemand um Tibet kümmert: »Es ist ein schönes, ein natürliches Land mit vielen Ressourcen. Tibet braucht Aufmerksamkeit.« Auf den immer wiederkehrenden Einwand, die Regierungen müssten mehr tun, sage sie immer: »Menschen machen die Welt besser oder schlechter, nicht Regierungen. Regierungen, das sind Menschen.«
Exil-Tibeter seien gebildete Menschen, die alle zurück wollen, ist Soname Yangchen überzeugt: »Sie könnten Tibet nach vorn bringen.«
Als Kind habe sie gar nicht gewusst, was Bücher sind und nun habe sie selbst eines geschrieben. Vielleicht bleibe es ihr einziges Buch. Vielleicht auch nicht. Vielleicht schreibe sie eines Tages über das, was nach dem Buch passiert ist, wie ihr Leben geworden ist. Aber das sei Karma.

Artikel vom 06.10.2005