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Mittel gegen den Magenteufel

Medizin-Nobelpreis an australische Ärzte für Entdeckung des Erregers

Stockholm (dpa). Für die bahnbrechende Entdeckung des Erregers von Magengeschwüren bekommen zwei Australier den Medizin-Nobelpreis 2005. Die Auszeicnung geht an die Ärzte Barry Marshall und Robin Warren.

Die beiden hatten 1982 zur Verblüffung der Wissenschaftsgemeinde den Keim Helicobacter pylori als Hauptursache für Magengeschwüre und Magenschleimhautentzündungen identifiziert, wie das Karolinska-Institut erklärte. Daraufhin wurde eine schlagkräftige Antibiotika-Therapie entwickelt. So werden heute etwa 80 Prozent der behandelten Patienten geheilt, die ansonsten ihr Leben lang an dem »Magenteufel« gelitten hätten. »Diese Entdeckung hat das Leben hunderttausender Menschen drastisch verbessert«, sagte Komiteesprecher Staffan Norrmark.
Früher galten vor allem Stress und ungesunde Lebensführung als Ursachen für diese Magenleiden. Heute wissen die Mediziner, dass der Erreger für 90 Prozent der Zwölffingerdarmgeschwüre und für 80 Prozent der Magenschleimhautentzündungen verantwortlich ist. In den schlimmsten Fällen kann sich auch Magenkrebs entwickeln. In Deutschland erkranken jährlich etwa 20 000 Menschen an bösartigen Magentumoren, die meist zum Tode führen. Die Zahl der Helicobacter-Infizierten hier wird auf 20 bis 40 Prozent geschätzt.
Der Anruf des Nobel-Komitees erreichte Warren (68) und Marshall (54) in einer Kneipe im australischen Perth. »Als ich sie auf dem Handy erreichte, saßen sie zusammen in einer Kneipe und guckten aufs Wasser«, berichtete Nobel-Komiteesekretär Göran Lindvall in Stockholm. »Sie waren beide völlig begeistert.« Die Australier hatten auch in den vergangenen Jahren jeweils zur Bekanntgabe des Medizin-Nobelpreises eine Verabredung in der Kneipe getroffen, weil sie schon seit längerem mit dem Anruf aus Stockholm gerechnet hatten.
»Die Arbeit von Marshall und Warren brachte eine der radikalsten und wichtigsten Wenden der vergangenen 50 Jahre in der Wahrnehmung eines Krankheitsbildes«, lobte die Royal Society in London. Das Nobel-Komitee betonte, der Mediziner Marshall von der Universität von Westaustralien in Nedlands und sein Kollege Warren aus Perth hätten hartnäckig ein weit verbreitetes Dogma herausgefordert. »Das Verdienst der beiden ist es, an diesem Dogma gekratzt zu haben«, sagte auch Wolfgang Rösch, Helicobacter-Experte am Krankenhaus Nordwest in Frankfurt am Main.
Komiteesekretär Lindvall unterstrich: »Der Preis zeigt, dass auch ganz normale klinisch arbeitende Ärzte bahnbrechende Entdeckungen machen können.« Marshall und Warren hätten sich gegen eine breite wissenschaftliche Front durchgesetzt und seien lange von vielen nicht ernst genommen worden.
Helicobacter pylori ist ein Bakterium mit langen Geißeln, das weltweit etwa jeder zweite Mensch im Magen hat - nur ein Teil davon bekommt jedoch Beschwerden. Durch verseuchte Getränke und Lebensmittel wird der Keim meist schon im Kindesalter aufgenommen. In den ärmeren Ländern ist das Problem größer als in den reicheren.
l Heute werden die Preisträger für Chemie benannt. Am Freitag folgt die Bekanntgabe der Friedensnobelpreisträger, am Montag wird der Wirtschaftspreis vergeben. Der Nobelpreis für Literatur wird am Donnerstag kommender Woche zuerkannt. Die jeweils mit umgerechnet 1,1 Millionen Euro dotierten Auszeichnungen werden traditionsgemäß am 10. Dezember überreicht, dem Todestag Nobels.

Artikel vom 05.10.2005