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Chirurg soll die Haftstrafe von 19 Monaten absitzen

Todesfahrt unter Alkohol auf Weg nach Gilead

Bielefeld (uko). Kurt und Martha W. bereiteten sich schon auf ihre goldene Hochzeit vor, doch am Morgen des 17. April 2004 wurde das Familienglück des Ehepaares jäh zerstört: Ein betrunkener Arzt raste mit seinem Alfa Romeo 166 über eine rote Ampel, kollidierte mit dem VW Golf der beiden Rentner. Marth W. starb Tage später. Für Todesfahrer Marek N. (51) blieben Mittwoch alle Hoffnungen auf eine Bewährungsstrafe vergebens: Das Landgericht Bielefeld verurteilte ihn zu 19 Monaten Haft.

Der Kreuzungsbereich der Artur-Ladebeck-Straße und des Eggeweges glich nach dem fürchterlichen Unfall einem Trümmerfeld. Der Alfa Romeo war gegen die Begrenzungsmauer der Straßenbahnhaltestelle gepresst worden. Der VW Golf IV war 40 Meter stadteinwärts geschleudert worden. Alfa-Fahrer Marek N. war ebenso wie Kurt W. (76) schwer verletzt. Martha W. (71) jedoch überlebte den grauenhaften Crash nicht. Sie starb Tage später im Franziskus-Hospital.
Das Amtsgericht Bielefeld verurteilte den Todesfahrer nach dessen eigenem Geständnis am 6. Juni deshalb wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung. Zweifellos hatte ein Gutachter dem gebürtigen Polen die Schuld an der tödlichen Kollision gegeben, nachdem der Unfallhergang lange Zeit im Unklaren geblieben war. Der Golf hatte vom Eggeweg nach links stadtauswärts fahren wollen, Kurt W. war bei Grünlicht in die Kreuzung eingebogen.
Arzt Marek N. jedoch war nicht nur 95 Stundenkilometer (erlaubt: Tempo 50) schnell gerast, er war zudem mit mindestens zwei Promille Blutalkohol sturzbetrunken. Und: Seine Ampel zeigte bereits seit 20 Sekunden (!) Rotlicht. Die Kosenquenz des Amtsgerichts: 18 Monate Haft, ohne Bewährung. Zudem erteilte die Amtsrichterin eine zweijährige Sperre zur Neuerteilung einer Fahrerlaubnis.
Gemeinsam mit seinem Verteidiger Detlef Binder verfolgte der Chirurg gestern nur ein Ziel: Die Verbüßung der Strafe sollte zur Bewährung ausgesetzt werden. An diesem seidenen Faden hing die Zulassung des Mannes als Arzt, denn die Detmolder Bezirksregierung hat die Approbation des Mediziners ruhen lassen. - Marek N. bekannte auch gestern erneut, seit Jahren Alkoholiker und von Medikamenten abhängig zu sein. Seine Sucht dokumentiert auch eine Urkundenfälschung, bei der er in München erwischt worden war: Einer Apotheke reichte er ein gefälschtes Rezept ein. Dafür wurde er in München zu 9 000 Euro Geldstrafe verurteilt, die nun vom Landgericht in das neue Urteil einzubeziehen war.
Einen Grund für die ungeheuerliche Alkoholisierung konnte N. gestern nicht angeben. Immerhin war er seinerzeit in der Klinik Gilead sehr gut angesehen, kurz zuvor war sein Zeitvertrag sogar in eine Daueranstellung umgewandelt worden. Mehrmals hatte der Alkoholiker sogar Entziehungskuren und Entgiftungen gemacht, seine Kollegen wussten nichts von seiner Sucht.
Nach dem Unfall hatte sich Marek N. wieder in eine Therapie begeben. Sein Arzt Dr. Martin Reker erklärte jedoch vor dem Landgericht, Marek N. sei inzwischen zweimal rückfällig geworden. Auch eine verspätete Kontaktaufnahme des Todesfahrers zu den Hinterbliebenen blieb letztlich fruchtlos. Rechtsanwalt Johann Wegener, der die Angehörigen der Toten vertrat, formulierte denn auch die offensichtlich taktischen Bemühungen des Arztes mit vernichtender Kritik: »Wie soll man für jemanden Verständnis entwickeln, der wie ein Elefant durch den Porzellanladen läuft und hinterher fürs Aufräumen belohnt werden möchte?«
Dieses Verfahren, so Wegener, »hätte man sich schenken können«. Auch Oberstaatsanwalt Klaus Steffen zweifelte, ob der Todesfahrer die fürchterlichen Folgen verinnerlicht habe. Die 5. Strafkammer unter Vorsitz von Wolfgang Drees hielt die Strafvollstreckung »für geboten«. Binder kündigte gestern Abend noch Revision gegen das Urteil des Landgerichts an.

Artikel vom 06.10.2005