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Steuersenkungen kein Thema

Müntefering lehnt Unions-Forderung ab - Milbradt gegen große Koalition

Berlin (dpa). Nach Einschätzung von Wahlforschern hat die SPD ihren Vorsprung bei den Zweitstimmen in Dresden I vor allem taktischen Erwägungen im bürgerlichen Lager zu verdanken. Vermutlich nur durch Leihstimmen von Unionswählern kam die FDP bei den Zweitstimmen auf 16,7 Prozent.
Eine große Koaliton im Bund ist für Sachsens Regierungschef Georg Milbradt eine »Horrorvision«, im eigenen Land hingegen Alltag.

Schon im Wahlkampf hatte die CDU vor allem um die Erststimme geworben, während die FDP-Direktkandidatin Peggy Bellmann die Wahl ihres CDU-Konkurrenten empfohlen und lediglich um die Zweitstimme für die FDP gebeten hatte. Denn hätte die CDU zu viele Zweitstimmen bekommen, dann hätte sie - Paradoxon des deutschen Wahlsystems - ein Überhangmandat verloren.
An diesem Montag tagt das SPD-Präsidium in Berlin und dürfte dabei wohl auch Schlussfolgerung aus dem Ergebnis von Dresden ziehen, bevor am Mittwoch die dritte Sondierungsrunde mit der Union ansteht. Nach Ansicht von SPD-Chef Franz Müntefering sollte dann in der darauf folgenden Woche die Entscheidung fallen, ob Verhandlungen für eine große Koalition aufgenommen werden. Die Frage, wer Kanzler werde, könne in diesen Verhandlungen geklärt werden, sagte Müntefering am Sonntag im ZDF.
Noch am Wochenende hatte die SPD versucht, wesentlichen Forderungen der Union einen Riegel vorzuschieben. Wegen der schwierigen Sanierung der öffentlichen Haushalte können Steuersenkungen nach Münteferings Worten kein Thema in Koalitionsverhandlungen sein. SPD-Parteivize Heidemarie Wieczorek-Zeul blieb in punkto Arbeitnehmerrechte hart. Den Kündigungsschutz wolle die SPD »so erhalten, wie er ist, ebenso die Steuerfreiheit für die Zulage für Sonntags-, Feiertags-, Nacht- und Schichtarbeit.«
Die Union hingegen dürfte ihren Anspruch auf die Kanzlerschaft nur noch entschlossener geltend machen. Schließlich zieht sie nun mit 226 statt 225 Abgeordneten in den Bundestag ein und vergrößerte damit ihren Vorsprung vor der SPD (222 Sitze) von drei auf vier Mandate. »Gerhard Schröder muss den Platz frei machen für eine Regierungsbildung«, sagte Georg Milbradt (CDU). Sachsens Ministerpräsident zeigte wenig Begeisterung für eine große Koalition. Auch wenn es keine Alternative gebe, halte er ein solches Bündnis für eine »Horrorvision«, weil es Stillstand bedeute.
Unions-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble plädierte für eine Wiederaufnahme der Gespräche mit den Grünen, falls es nicht in absehbarer Zeit zu einer Einigung mit der SPD komme. Ähnlich äußerte sich Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Sollte eine große Koalition »aus den Gründen der Sturheit der SPD in der Personalfrage, aus Gründen der Unvereinbarkeit des Inhaltes« nicht zu Stande kommen, »dann ist nicht automatisch Neuwahl angesagt«, sagte Koch am Sonntag in der ZDF-Sendung »Berlin direkt«. Dann müssten die Gespräche mit den Grünen wieder aufgenommen werden.
Milbradt verlangte, über die Gründe des Wahlausgangs in der Union zu diskutieren. »Über den Grund des nicht optimalen Wahlausgangs wollen wir nach der Regierungsbildung sprechen. Das müssen wir dann aber auch, denn natürlich gab es Fehler.« CSU-Vorstandsmitglied Günther Beckstein forderte ein schärferes christlich-soziales Profil der Union. Bayerns Innenminister sagte, programmatisch sollte mehr über die Grenzen der Privatisierung, der Deregulierung und des Wettbewerbs geredet werden, um bei Wählern berechenbarer zu wirken.
Der Union haben ihre Pläne für Kürzungen im Sozialbereich und die steuerpolitischen Vorhaben im Wahlkampf massiv geschadet. Das teilte das Meinungsforschungsinstitut Forsa am Sonntag nach der Befragung von 1001 Bundesbürgern Ende September mit.
Eine große Koalition bietet nach Einschätzung des Präsidenten des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, Chancen für umfassende Reformen. »Große Koalitionen sind nicht die schlechteste aller Lösungen. Es geht um große Veränderungen, und dafür brauchen Sie entsprechende Mehrheiten.«

Artikel vom 03.10.2005