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Ein signiertes Foto von Elly Ney gehört zu den Schätzen der Musikliebhaberin Mia Stockmann.

Bewegende Stunden in
der Welt der Musik

Mia Stockmann besucht Oetkerhalle von Kindheit an


Bielefeld (mm). »Was wäre Bielefeld ohne die Oetkerhalle«, lächelt Mia Stockmann. Die 78-jährige Bielefelderin zählt zu den treuesten Besuchern des Konzerthauses, das am 31. Oktober 75-jähriges Bestehen feiert. Die Halle ist für die Musikliebhaberin weit mehr als nur ein Aufführungsort: »Ich habe dort bewegende und ergreifende Stunden erlebt, durfte Künstlern von Weltrang begegnen. Das hat sich für immer in mein Gedächtnis eingeprägt.«
Klassische Musik spielte in dem gutbürgerlichen Elternhaus der späteren Verwaltungsleiterin des Mathildenheims eine bedeutende Rolle. Im Alter von fünf Jahren erhielt Mia Stockmann ihren ersten Klavierunterricht. Sie war begeistert, übte eifrig und voller Freude. In ihr wuchs der Wunsch, Klavierlehrerin zu werden. Eine Krankheit machte den Traum zunichte. Wegen Lähmungserscheinungen an den Händen durfte sie nicht mehr Klavier spielen. »Das war der dunkelste Tag meines Lebens«, sagt sie im Rückblick.
Die Eltern trösteten sie, schenkten ihr zum zehnten Geburtstag ein Abonnement für die Oetkerhalle, die sieben Jahre zuvor eingeweiht worden war. Hier erlebte sie die Großen der Musikwelt - Wilhelm Furtwängler, Stefan Askenase, Wilhelm Kempff, Monique Haas und natürlich Elly Ney, die unvergleichliche Beethoven-Interpretin.
Gerade elf Jahre alt war Mia Stockmann, als sie die »Ney« erstmals in der Oetkerhalle hörte. An das Programm des Beethoven-Abends erinnert sie sich noch genau: Pathétique, Mondscheinsonate, Waldsteinsonate und Apassionata. »Von der Künstlerin ging eine unglaubliche Ausstrahlung aus«, sagt sie. »Als der letzte Ton verhallte, brach nach Momenten unheimlicher Stille ein Sturm der Begeisterung aus.«
Der Besuch eines Konzertes sei zu früheren Zeiten festlicher gewesen als heute, meint Mia Stockmann: Die Menschen hätten ihren Sonntagsstaat getragen, die Darbietungen intensiver erlebt. Und die Interpreten seien nicht von Managern oder Leibwächtern abgeschirmt worden: »Wenn wir zum Musikzimmer gingen, in dem sich die Solisten in den Pausen aufhielten, haben wir nie vergeblich um ein Autogramm betteln müssen.«
Programme, Eintrittskarten, ein Foto von Elly Ney mit Unterschrift und viele »Schätze« mehr, die um die Oetkerhalle ranken, bewahrt Mia Stockmann auf. Auch den Hinweis, der bei Veranstaltungen während des Zweiten Weltkrieges jedem Programmheft beilag: »Bei bevorstehendem Luftalarm wird das Konzert sofort unterbrochen und dem Publikum Mitteilung gegeben...«.
Zu den Lieblingsinterpreten der Musikenthusiastin zählt der Dirigent Wilhelm Furtwängler, den sie mit den Berliner Philharmonikern am Pfingstsamstag 1949 in Bielefeld sah. Auf dem Programm stand die 5. Symphonie von Ludwig van Beethoven. »Ich hatte großes Glück«, erzählt Mia Stockmann. »Gustav Werk, der Inhaber der Pfefferschen Buchhandlung, verhalf mir zu einer Logenkarte. Eine Mark kostete die damals.« Das Konzert sei wie ein Rausch gewesen, vollendet und voller Magie. An diesem, wie an vielen anderen Abenden, sei sie beglückt nach Hause gegangen, habe das Erlebte nachklingen lassen. »Auch das macht die Musik so einmalig.«
Nach wie vor besucht Mia Stockmann regelmäßig die Konzerte in der Oetkerhalle. Sie hat großen Respekt vor den heutigen Interpreten, aber: »Die sind meistens so rasend schnell. Manchmal vermisse ich die Ehrfurcht vor dem Werk der Komponisten.« Sie selbst lässt sich hohe Wertschätzung nicht nehmen. Ebenso wenig die Andacht, die, wie sie sagt, »einfach zum Erleben von Musik gehört«.

Artikel vom 01.10.2005