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»Lehrerausflüge können auch am Nachmittag stattfinden«

Heute im Gespräch: Landes-Schulministerin Barbara Sommer (CDU)

Düsseldorf (WB). Als »Eigentor des Monats« hat die rot-grüne Opposition eine Initiative der neuen NRW-Landesregierung zur Rettung von Kleinstschulen bezeichnet. Diese Schulen seien gar nicht gefährdet. Falsch, meint Schulministerin Barbara Sommer (CDU) im Interview mit Reinhard Brockmann. Die Opposition habe sich nur einen von drei entscheidenden Paragraphen herausgegriffen.
Zeit zum Durchatmen: Barbara Sommer auf dem Balkon des Schulministerium in Düsseldorf.

Die Schonzeit ist vorbei und die SPD höhnt: 100-Tage-Bilanz endet mit Blamage, weil weder der Ministerpräsident noch seine Ministerin das Schulgesetz für kleine Schulen kennen. Sommer: Das stimmt ja so nicht. Wenn man nur das rauspickt, was man wirklich hören will, dann kommen solche Provokationen dabei heraus. Im Schulgesetz gibt es für diesen Bereich drei und nicht nur einen relevanten Paragraphen. Wenn ich isoliert den Paragraphen 82 nehme, ergibt sich daraus die Schulgröße, bei deren Unterschreitung zwingend, also ohne jeden Ermessensspielraum, eine Grundschule zu schließen ist. Im genau vorgehenden Paragraphen 81 ist indes die wirklich relevante Aussage enthalten. Danach sind die Schulträger durch das Schulgesetz verpflichtet, angemessene Klassen- und Schulgrößen zu gewährleisten. Und nach Paragraph 93, der den Lehrer- und Stellenbedarf von Schulen in Verbindung mit einer Ausführungsverordnung regelt, ergibt sich, dass die notwendige gleichmäßige Personalausstattung für alle Grundschulen nur dann gewährleistet ist, wenn die Grundschulen durchgängig mindestens zweizügig sind. Auf diesen Zusammenhang haben nicht nur der Ministerpräsident und ich hingewiesen. Er ist auch jedem Schulpraktiker bekannt. Und auch der Landesrechnungshof hat dies bereits gegenüber der alten Landesregierung moniert, ohne dass dem Taten gefolgt sind.

Wenn es bei der von Rot-Grün übernommenen Rechtslage bleibt, müssen dann kleine Schulen zwingend geschlossen werden oder nicht? Sommer: Wir suchen für kleine Schulen flexible Lösungen. Wir möchten die Isolation der kleinen Schulen auflösen, in dem wir sie zum Beispiel zusammenlegen. Eine kleine und eine größere Grundschule haben dann nur noch einen Schulleiter, bekommen aber einen Konrektor, und die Lehrer müssen sich hin und wieder auf den Weg machen, um an beiden Standorten zu unterrichten. Das ist im Sinne der Kinder.

Der Koalitionsvertrag ist ein dickes Hausaufgabenheft für die Schulministerin. Wie groß ist die Erwartung, dass sie alles sofort und auf der Stelle erledigen? Sommer: Der Druck ist außergewöhnlich hoch. Insbesondere die Opposition will bestimmte Themen sehr schnell abhandeln, obwohl sie sehr komplex sind und sauber umgesetzt werden müssen. Dennoch lasse ich mich nicht davon abbringen, Dinge wie etwa das diese Woche vorgestellte Projekt Ganztagshauptschule geordnet zum Erfolg zu führen.

1000 Lehrerinnen und Lehrer und die Aufstockung der Mittel für Vertretungsunterricht hat es schon gegeben. Ist die Zeit der Wohltaten vorbei? Sommer: Ich habe nie gesagt, es gäbe keine Kröten zu schlucken. Ich habe noch immer bald täglich Ärger damit, dass doch wieder Unterricht ausgefallen ist, wo es nicht nötig war. Die fünf Millionen Stunden Ausfall unter der alten Regierung diskutiere ich nicht mehr. Das ist eine so ungeheure Größe, dem ist nichts mehr hinzu zufügen.

Der VBE verweist auf Ausfälle durch Krankheit und wirft Ihnen schon vor, sie bedienten das Image vom faulen Lehrer. Sommer: Lehrerausflüge und andere Dinge können auch am Nachmittag stattfinden. Vor allem lasse ich zwei Totschlagargumente nicht gelten: Das haben wir noch nie gemacht, oder das war schon immer so. Dabei haben wir es hier nur mit einer Übergangszeit zu tun. All diese Fragen nach Elternsprechtagen am Vormittag oder der unterschiedlichen Arbeitsbelastung von Lehrerinnen und Lehrern in einer Schule möchte ich in Zukunft freigeben. Das soll die selbstständige Schule regeln - wenn die Eltern mitziehen. Nur solange die Schulen noch nicht selbstständig sind, muss ich sie noch ein Stück begleiten.

Die große Freiheit an der selbstständigen Schule? Sommer: Das heißt nicht: Macht, was ihr wollt, und geht hin, wohin ihr wollt. Nein, wir haben sehr deutliche Bildungsziele und Standards. Wir haben an allen Stellen des Bildungsweges Prüfungen, und die müssen erfüllt werden. Die Schule muss selbst sehen, was sie sich noch erlauben kann und was nicht.

Die flexible Schuleingangsphase ist von Rot-Grün eingeleitet worden. Werden Sie die Zusammenfassung von Vorschule und den Klassen eins bis zwei exakt so weiterführen? Sommer: Sowohl als auch. Aus meiner Zeit in Gütersloh weiß ich noch sehr genau, dass sich etliche Schulen auf einen guten Weg gemacht haben. Wenn die Schulen diesen jahrgangsübergreifenden Ansatz für sich entschieden haben und Schüler, Eltern und Lehrer damit glücklich sind, dann sollen sie ihn auch beibehalten. Sie können auch damit neu anfangen. Ich lasse beide Modelle nebeneinander zu, weil das der Schulwirklichkeit am nächsten kommt.

Weniger Freiheiten gibt es bei den Regelungen zu den zentralen Prüfungen und Lernstandserhebungen? Sommer: Absolut. Das gehört zu den Korsettstangen. Wenn ich den Schulen auf der einen Seite viele Freiräume gebe, muss ich diese Freizügigkeit auch überprüfen dürfen, denn die Verantwortung für die Schülerinnen und Schüler liegt bei mir. Ich muss feststellen, was nicht geschafft wurde. Deshalb gibt es vergleichende Arbeiten.

Die ersten Sextaner haben sich gerade in Klasse fünf auf den Weg zum Abitur in zwölf Jahren gemacht. Wie geht es weiter? Sommer: Es gibt bereits mehr Unterricht, um das aufzufangen. In der noch offenen Debatte tendiere ich zur dreijährigen Oberstufe. Es gibt natürlich auch Modelle für zwei Jahre. Andere Länder gehen diesen Weg.

Das hieße die mittlere Reife nach neun Jahren? Sommer: Das würde bedeuten, dass wir andere Schulformen wie die Hauptschule und insbesondere die Realschule viel stärker einbeziehen müssen. Da muss man sehen, ob das möglich ist. Mein Ansatz heißt drei Jahre Oberstufe, die Einzelheiten müssen noch geklärt werden.

Bürokratieabbau woanders soll den Schulen helfen. Geschieht schon etwas? Sommer: Kein leichtes Thema. Ein Regierungspräsident sagte mir, dass er sich vorstellen könne, einen Teil seines Personals für immer wiederkehrende Verwaltungsarbeit in Schulen zur Verfügung zu stellen. Ein EDV-Mann kann zum Beispiel für zehn Schulen die Statistik ausfüllen, das muss nicht jeder Schulleiter für sich machen.

Artikel vom 01.10.2005