01.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Jetzt reicht es« - EU bringt Türkei in Harnisch

Ankara muss sich zum Wochenstart über den Beginn der Verhandlungen entscheiden


Von Ingo Bierschwale
Istanbul (dpa). In den Korridoren des Außenministeriums in Ankara brennen die Lichter bis in den Morgen. Im Nervenkrieg mit der EU um den Beginn der Beitrittsgespräche wird jede eingehende Information Zeile für Zeile geprüft. In Erwartung des Krisentreffens der EU-Außenminister am Sonntag hat sich die türkische Regierung zweierlei auferlegt: Nicht zu zeigen, wie blank die Nerven liegen, und keinen Emotionen nachzugeben. Wohlwissend, dass aufgeregte Reaktionen den nach wie vor höchst ungewissen Start der Verhandlungen über einen EU-Beitritt zusätzlich in Gefahr bringen können.
Gespannt stellt sich die türkische Öffentlichkeit eine Frage: Wird Außenminister Abdullah Gül am 3. Oktober ins Flugzeug nach Luxemburg steigen oder nicht? Eines steht fest: Sollten sich die 25 EU-Staaten auf die Rahmenbedingungen für Verhandlungen mit der Türkei einigen, wird die türkische Regierung innerhalb weniger Stunden entscheiden müssen, ob sie sich an den Verhandlungstisch setzt oder einer offenen Krise mit der EU den Vorzug gibt.
Die Pflöcke hat Außenminister Gül eingeschlagen, als er am Donnerstag »ernste Probleme« und das »Risiko« einer Verschiebung der Beitrittsgespräche beschwor. Alternativen zu einem vollständigen Beitritt, wie sie Österreich im Alleingang durchsetzen will, lehnt Ankara kategorisch ab. »Tatsache ist, dass es Themen gibt, die für uns völlig unannehmbar sind.« Damit brachte Gül diplomatisch auf den Punkt, was seit Tagen der meistgehörte Kommentar in der Türkei ist: »Jetzt reicht es.«
Frust und Enttäuschung haben selbst die Kreise erfasst, die bislang entschieden für einen EU-Betritt gestritten haben. Mahnende Stimmen warnen davor, nicht in die »Falle« zu laufen. Heute wie beim EU-Gipfeltreffen 1999 in Helsinki sei die Regierung in Ankara gut beraten, »ruhig und entschlossen« zu bleiben.

Artikel vom 01.10.2005