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Wohin Flamingos flüchten
Friedliches Leben am Etang de Bages an der französischen Mittelmeerküste
Drohend haben sich die Wolken am Horizont zusammengezogen. War der Himmel eben noch blitzblau, wabern die Wattebäusche nun vom Mittelmeer über die Küste. Fahl wird das Licht, stahlgrau der Himmel. Obwohl der Wind auffrischt und das Wasser des Etang de Bages auf einmal wie ein Waffeleisen wirkt, ist es nicht kalt.
Die alten Männer von Peyriac-de-Mer sitzen am Rande des Haffs, welches nur von einer schmalen Landzunge begrenzt wird. »Da kommen sie«, sagt einer. »Sie kommen immer, wenn das Wetter schlecht wird. Nur, wenn das Wetter schlecht wird.« Dann wird das flache Gewässer zum Zufluchtsort für Hunderte von Flamingos.
Eigentlich sind die rosa Vögel in der Camargue zu Hause, doch einige, die sich weit von ihrer angestammten Heimat entfernt haben, müssen bei schlechtem Wetter Zuflucht in den Etangs entlang der Mittelmeerküste suchen.
Entlang des Etangs liegen das schöne Fischer- und Künstlerdorf Bages, das Salzstädtchen Peyriac-de-Mer, das afrikanische Reservat Sigean und der Handelshafen Port-la-Nouvelle. In Peyriac fühlen sich die Flamingos am sichersten. Die Weinstöcke entlang der Salinen holen sich bisweilen ebenso wie die Vögel nasse Füße, und bei Südwind hört man hier manchmal Löwengebrüll. Wie bitte? Es stammt von der nahe gelegenen »Reserve africaine de Sigean«, einem Freiwildgehege mit etwa 3000 Tieren, die zu zwei Dritteln aus Afrika stammen - die einzige Attraktion des wenige Kilometer entfernten Städtchens Sigean.
Die alten Männer von Peyriac bleiben trotz der drohenden Wolken auf ihrer Bank sitzen. Wenn es wirklich zu regnen anfängt, kann man das Schwätzchen ja immer noch ins Bistro verlegen oder nach Hause gehen. Das Dorf mit seinen 850 Einwohnern strahlt Ruhe und Gelassenheit aus, und nur die stark befestigte Wehrkirche aus dem 14. Jahrhundert zeugt von einer turbulenten Vergangenheit. Die Flamingos hingegen bleiben auf dem Etang. Dicht gedrängt stehen sie im flachen Wasser. Einige legen einen kurzen Erkundungsflug ein, andere passen auf die Jungvögel auf, die noch recht unbeholfen im Wasser herumstaksen.
Nur wenige Kilometer von Narbonne entfernt, bietet dieser Binnensee bei gutem Wetter ein Paradies für Surfer und Segler. Das ist auch ökologisch kein Problem, denn die Flamingos tummeln sich dann in ihren angestammten Revieren.
Die Salzgärten in Peyriac-de-Mer zeigen noch immer, wie dort bis vor 30 Jahren Meersalz gewonnen wurde. Außerhalb des Ortes befindet sich ein schön gelegener See (Plage du Doul) mit außergewöhnlich hohem Salzgehalt. Die Wanderung um den Etang ist ein schöner Spaziergang von gut zwei Stunden, auf dem man die Salzgewinnung früherer Tage gut nachvollziehen kann. Ein Teil des Weges verläuft über einen aufgeständerten Bohlenweg und überquert das Wasser.
Der See ist nur durch den Grau de la Nouvelle (Fahrrinne) mit dem Meer verbunden. Von der Römerzeit bis zum 14. Jahrhundert bestand eine Verbindung mit dem Etang de Gruissan. Die beiden Seen bildeten zusammen eine große Lagune, in welche die durch einen Damm umgeleitete Aude mündete.
Gleich im Norden des Etang de Bages et de Sigean trifft man auf das schöne Fischerdörfchen Bages mit einem kleinen Fischerhafen. Das Dorf mit seinen engen Gassen, einer Sonnenuhr aus dem 11. Jahrhundert und der Kirche Saint-Martin aus dem 13. Jahrhundert hat viele zeitgenössische Künstler angezogen, die sich durch die außergewöhnlich schöne Lage inspirieren lassen.
Als Urlauber bewegt man sich dort abseits der ausgelatschten Pfade. Und man trifft auf Menschen, deren Weltbild von der »Grande Nation« und ihrer schönen Heimat geprägt ist. Wie Eliane Pech, die als Wanderführerin Touristen hilft, die Region auf Schusters Rappen zu erkunden. Obwohl die Gegend in gesamteuropäischen Dimensionen geschichtsträchtig ist, weiß Eliane fast nichts über das Leben in der weiten Welt. Mit großem Erstaunen vernimmt sie, das Deutschland auch Weinbau betreibt. Für sie gibt es nur eine Weinbaunation auf der Welt, und das ist eben Frankreich. Gut, im Elsass soll es ja auch einige Winzer geben, aber guter Wein hat aus dem Languedoc zu kommen.
Eliane möchte einen Weinwanderweg initiieren. Bis zur Vollendung dieses Projektes sollte sie allerdings noch etwas über die Länder lernen, deren Bewohner sie gerne führen möchte. Sonst hören die Wanderer lieber dem Gesang der Vögel als ihren »Ver«klärungen zu... Thomas Albertsen

Artikel vom 08.10.2005