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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Am Erntedankfest präsentieren sich die Kirchen in malerisch farbiger Pracht. Ihre Altäre sind mit Früchten aus Feld und Garten geschmückt: Obst und Gemüse, üppige Kürbisse, Kartoffeln und Getreide. Kornstiegen, die das Ganze einrahmen, sind, weil maschinell geerntet wird, heute zwar selten geworden. Dafür aber kann eine aus Stroh und Ähren geflochtene Erntekrone noch daran erinnern, daß es sich nicht von selbst versteht, wenn das tägliche Brot regelmäßig und verläßlich auf den Tisch kommt. Der Rückblick in Kriegs- und Nachkriegszeiten sowie Nachrichten aus anderen Kontinenten können einem überdies die Augen dafür öffnen, dass dies auch ganz anders sein kann.
Gelegentlich werden den Naturalien auch Industrieprodukte zum Ernteschmuck beigegeben - gut gemeint, wie so oft, doch eher gedankenlos. Denn zwar ist es auch des Dankes wert, was Menschenhand hervorbringt. Doch verschleiert dies eher, dass es beim Erntedank nun einmal um die Vorgaben geht, nicht also um das, was der Mensch daraus macht, sondern um das, was er im Wesentlichen ohne seine Eigenleistung und sein Zutun empfängt. Am Erntedankfest geht es daher nicht um ein nostalgisches oder folkloristisches Zurück in eine versunkene bäuerliche Kultur. Der tiefe und bleibende Sinn dieses Tages liegt vielmehr darin, sich bewusst zu machen, daß menschliches Leben nur deshalb möglich ist, weil es unaufhörlich »von oben« beschenkt, versorgt und bewahrt wird.
Erntedankfeste waren einstmals Opferfeste. Der Dank wurde durch eine Opferhandlung ausgedrückt. Auch daran erinnern noch die Erntegaben, die bis in die Gegenwart hinein die Altäre der Gotteshäuser zieren. Der Gedanke, der dahintersteckt, ist heute freilich missverständlich geworden. Er muss daher, um in seiner ursprünglichen Bedeutung begriffen zu werden, zunächst in seinem Kern wieder freigelegt werden.
Denn wenn Menschen ein Opfer darbringen, so ist das seinem Wesen nach, wenngleich es immer auch in eine solche Richtung verfälscht wurde, nicht mit einer Art Steuerabgabe an Gott zu verwechseln. So etwas hat der Schöpfer aller Dinge nicht nötig. Anders als die Heiden es sehen, ist ein Opfer aber auch keine Möglichkeit, die Gottheit günstig zu stimmen. Die Bibel geht vielmehr davon aus, dass Gott den Menschen von sich aus, aus Liebe, gut ist.
Im Opfer erkennt der Mensch aber die Tatsache an, dass er nicht aus eigener Kraft besteht, dass er im strengen Sinne nichts sein Eigen nennen kann, dass er alles, was er zu besitzen meint, nach und nach wieder loslassen und hergeben muss. Eines Tages ist er es sogar selbst, der die Welt so nackt, wie er in sie hineingeboren wurde, wieder zu verlassen hat. In der Zwischenzeit aber ist alles, was er ist und was er hat, Geschenk.
Durch das Opfer nun bringt er zum Ausdruck, sich dessen bewusst zu sein. Er verschenkt einen Teil von dem, was ihm gegeben wurde, ihm letzten Endes aber nicht gehört. Er bekennt damit: Ich bin ein vergängliches Geschöpf, aber ich darf es auch sein. Das zu wissen und zu respektieren, befreit und entlastet von der Selbstüberschätzung und der Selbstüberhebung auf der einen Seite wie von der Selbstüberforderung und Selbstverachtung auf der anderen: Ich darf vor Gott der Mensch sein, als den er mich geschaffen hat, mit meinen Möglichkeiten und mit meinen Grenzen. Mehr wird von mir nicht verlangt.
Romano Guardini meint dazu: „Dass ich bin und bin, was ich bin, atmen kann und fühlen und arbeiten - alles das ist in keiner Weise selbstverständlich, sondern anbetender Verwunderung wert ... Immerfort sich aus der Hand Gottes zu empfangen und also auch dafür zu danken, gehört zur Wesenshaltung des Menschen - des wirklichen Menschen, der in seinem echten Wesen steht. Durchaus könnte es sein, ich wäre nicht; durchaus auch, die Welt wäre nicht: Im Wesentlichen würde nichts fehlen, »bloß ich, bloß die Welt, denn Gott genügtÔ.« Und er nennt es den »Grundakt aller Frömmigkeit«, dass einer weiß, damit einverstanden ist und bekennt: »Du, Gott, bist. Und bist genug. Du aber hast gewollt, dass ich sei, und dafür hab Dank!«

Artikel vom 01.10.2005