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Ein Protein gibt bei
Krebs ein fatales Signal

Uni-Chemiker erforschen Struktur und Wechselwirkung


Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Genetik, sagen manche, war gestern. Proteomic, das Verständnis der Struktur von Proteinen und ihren Wechselwirkungen, ist heute. An der Universität Bielefeld befasst sich damit eine Arbeitsgruppe der Physikalischen Chemie unter der Leitung von Dr. Andreas Brockhinke. Ziel ist es zum Beispiel, Stressfaktoren im Pflanzenwachstum oder Signalproteine, die bei der Entstehung von Krebs eine Rolle spielen, zu identifizieren oder Tests zur Früherkennung von Erbkrankheiten zu entwickeln.
Die Genome des Menschen, vieler Tiere und Pflanzen sind bereits entschlüsselt. »Das ist schön - bedeutet aber nur, dass wir den ÝBauplanÜ kennen, nach dem Mensch, Tier und Pflanze entstehen«, sagt Brockhinke. Dieser Bauplan gibt vor, wie hochkomplexe Moleküle, so genannte Proteine, gebildet werden. Sie sind die Grundbausteine, aus denen der Organismus besteht, die zugleich aber auch den Herzschlag regulieren, die Hirntätigkeit und die Verdauung. Um Stoffwechselprozesse zu begreifen und Krankheiten zu verstehen, ist es also nötig zu wissen, wie Proteine strukturiert sind und wie sie miteinander wechselwirken.
Nun gibt es eine Vielzahl von Methoden, um die Proteine in den Zellen zu untersuchen, erklärt Brockhinke. Ihr Nachteil ist aber in aller Regel, dass sie selbst auf die Proteine einwirken. Die Chemiker der Uni aber haben, basierend auf der Fluoreszensspektroskopie, ein Verfahren entwickelt, den Proteinen berührungslos nachzuspüren. »Simpel gesagt: Wir schicken Licht in Zellen und schauen, was für Licht wieder herauskommt.«
Dabei nutzen die Wissenschaftler den Effekt, dass bestimmte Bausteine der Moleküle nach der Anregung durch Laserlicht ein charakteristisches fluoreszierendes Leuchten ausstrahlen. Wenn sie diese Fluoreszenzsignale verfolgen, können die Forscher erkennen, auf welche Weise und wie häufig Proteine miteinander reagieren, damit zugleich Signale weiterreichen und letztlich Zellen den Befehl zu Aktivität geben.
»Ein Beispiel ist das so genannte Ras-Protein. Es ist ein molekularer Schalter, der der Zelle den Befehl zur Teilung gibt. Das ist sinnvoll, wenn eine Wunde geschlossen werden soll. Manchmal aber ist die Teilung auch unerwünscht. Denn unkontrolliert und ungebremst kann sie zum Wachstum eines Tumors führen.« Ein anderes Protein ist das »Neuropeptid Y«, das den Herzschlag reguliert und dafür sorgt, dass bestimmte Verdauungsenzyme ausgeschüttet werden. »Die Idee ist es, die Struktur und Wechselwirkung der Proteine zu verstehen, um Signalwirkungen gegebenenfalls zu hemmen oder zu verstärken«, erklärt Brockhinke.
Weil die Chemiker der Universität Grundlagenforschung betreiben, streben sie zunächst den Erkenntnisgewinn an. »Wir haben aber auch bereits ein konkretes Projekt, das sogar patentiert wurde und in der vorgeburtlichen Diagnostik eingesetzt werden soll.«
Statt der Punktion der Fruchtblase - mit dem Ziel, Fruchtwasser analysieren zu können, zugleich aber mit dem Risiko einer Fehlgeburt verbunden - könnte es danach künftig reichen, der werdenden Mutter Blut zu entnehmen. »In ihrem Blutstrom sind immer auch einzelne Zellen des Embryos - zwar in geringer Konzentration, aber weil unser Verfahren hochsensitiv ist, in hinreichender Menge.« Diese Zellen weisen Proteine auf, die spezifisch für embryonale Zellen sind - und können dank des Bielefelder Verfahrens »herausgefischt« und anschließend analysiert werden.

Artikel vom 21.10.2005