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Die Menschen wissen
nicht, was ihnen entgeht

Ehrenamtliche engagieren sich im Hospizverein

Schildesche (WB). Ein Jahr Pause - das hat sie sich gegönnt. Ein Jahr lang die Zeit für sich und mit ihrem Mann zu genießen, Silvester im Schnee zu verbringen, zu reisen ... Doch ihren ganzen Ruhestand so verbringen, so untätig und »unnütz«, wie sie sagt, das wollte Monika Kessler nicht. Stattdessen wollte sie sich engagieren, etwas für Menschen tun. Als sie in der Zeitung sah, dass der Hospizverein im Ev. Johanneswerk Fortbildungskurse für neue Ehrenamtliche anbot, meldete sie sich sofort an.

Das war vor drei Jahren. Seitdem begleitet Monika Kessler Sterbende auf ihrem letzten Weg. Sie ist Ansprechpartnerin bei letzten Wünschen, Ängsten und Sorgen, hört zu und hält die Hand, ist einfach da. »Man braucht keine großen Kenntnisse und Wissen, nur die Geduld zuzuhören und den Willen, sich auf den anderen einzulassen mehr nicht. Darüber braucht man eigentlich gar nichts schreiben,« sagt sie fast entschuldigend mit einer wegwerfenden Geste, »aber ich bekomme so viel zurück.«
Wer mit der aktiven, knapp 62-Jährigen spricht, kann spüren, wie viel Engagement und Leidenschaft hinter den Worten stecken. Auch wenn Monika Kessler manchmal an ihre Grenzen kommt. Auch wenn mitzuweinen manchmal das Einzige ist, was sie tun kann. Auch wenn es manchmal bedeutet, über mehrere Tage an einem Bett zu sitzen und zu warten, bis es vorbei ist.
Hospizmitarbeiter seien nicht trauriger als andere Menschen, versichert die Pensionärin, vielleicht seien sie nur in der Lage, sich mehr an den schönen Kleinigkeiten des Lebens zu erfreuen. Und auch das Gefühl gebraucht zu werden, findet sie schön. Um mit den traurigen Momenten ihrer Arbeit fertig zu werden, helfen ihr die regelmäßigen Treffen mit den anderen Ehrenamtlichen und den angestellten Mitarbeitern des Hospizvereins und die Fortbildungen, die ihnen das Johanneswerk ermöglicht. Hospizhelfer begleiten sowohl im Krankenhaus, als auch in den Alteneinrichtungen des Werkes und in der ambulanten Pflege. Fortbildungen bereiten die Helfer auf diese Einsätze vor.
Die professionelle Unterstützung hilft, auch wenn Monika Kessler schon in ihrem früheren Beruf Sterben und Tod kennen gelernt hat. Geheiratet hat sie früh, schon mit zwanzig Jahren. Als sie mit 24 die erste Tochter bekam, gab sie ihren Beruf als Kaufmannsgehilfin auf, wie damals üblich. Vier Jahre später kam ein Sohn und in den nächsten Jahren war sie ganz für die Kinder, den Haushalt und den Garten da. Doch als die Kinder älter wurden, reichte ihr das nicht mehr.
In ihren alten Beruf wollte sie jedoch nicht zurück, sie wollte mehr mit Menschen als mit Computern zu tun haben. Dann starb ihre Mutter an Krebs, nur drei Wochen später verstarb ihr Vater. Die damals 35-Jährige kann sich noch gut daran erinnern, wie hilflos und überfordert sie sich mit der Pflege und ihrer Trauer gefühlt hat. Mit derselben Tatkraft, die Monika Kessler sich auch noch als Pensionärin bewahrt hat, verband sie den Wunsch nach einer ausfüllenden beruflichen Tätigkeit und den Kampf gegen die Hilflosigkeit. So motiviert, absolvierte sie beim Roten Kreuz einen Schwesternhelferinnenkurs. 18 Jahre lang bis zum Vorruhestand war sie dann in der Diakoniestation Nord des Ev. Johanneswerks als Altenpflegehelferin tätig.
Jetzt als ehrenamtliche Hospizhelferin ist sie erst in der Lage, sich wirklich Zeit für die Sterbenden zu nehmen. »Die Pfleger und Ärzte stehen meistens zu sehr unter Zeitdruck und selbst wenn sie es wollen, können sie sich dem Einzelnen nicht so intensiv widmen wie wir Hospizhelfer«, berichtet Kessler. Nach ihrer Erfahrung ist es den meisten Sterbenden ein großes Bedürfnis zu reden, und dafür bleibt im Pflegealltag wenig Platz.
Auch die Freunde und Verwandten bräuchten jemanden zum Reden. In dem Bestreben, niemanden zu verletzen, würden sie oft die Ängste des Sterbenden abwiegeln. Sätze wie »das wird schon wieder« oder »du stirbst schon nicht, bald geht es dir wieder besser« sollen beruhigen, nützen dem Betroffenen aber nicht.
»Angst vorm Sterben habe ich immer noch, das hat jeder Mensch,« sagt Monika Kessler, »und wenn man sieht, wie jemand bis zur letzten Sekunde kämpft und sich schwer tut loszulassen, dann ist das schon erschreckend.« Aber sie hat erlebt, dass es auch anders geht. Und wünscht sich, dass noch mehr Menschen zwar Angst vorm Sterben haben, aber keine Angst, sich im Leben mit dem Tod zu beschäftigen. »Die Menschen wissen nicht, was ihnen entgeht. Es kann eine solche Bereicherung sein.«

Artikel vom 30.09.2005