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Nur der Nachgiebige
geht »nach Canossa«

Historisches Ereignis wird zum Sprachbild


»Der Winter war grauenvoll, und die hoch aufragenden und mit ihren Gipfeln die Wolken berührenden Berge, über die der Weg führte, starrten von so ungeheuren Schnee- und Eismassen, dass auf den glatten steilen Hängen weder Reiter noch Fußgänger ohne Gefahr nur einen Schritt tun konnten«, schildert ein mittelalterlicher Chronist die äußeren Umstände, unter denen König Heinrich IV. im Januar 1077 ohne großes Gefolge ins oberitalienische Canossa seinen Bußgang zu Papst Gregor VII. angetreten hatte. »Dort harrte er drei Tage hindurch vor dem Tor der Burg aus ohne jedes Abzeichen der königlichen Würde in jämmerlichem Aufzug, nämlich ohne Schuhe und in wollenem Gewand.«
Anlass für den demütigen Bußgang des zu jener Zeit mächtigsten Herrschers in Mitteleuropa war der kirchliche Bann, den der Papst über den König verhängt hatte, weil sich die Beiden nicht darüber hatten einigen können, wer das Recht zur Einsetzung eines Bischofs habe. Der Machtkampf zwischen dem weltlichen und dem kirchlichen Oberhaupt eskalierte zunächst in der von Heinrich lancierten Rücktrittsforderung der deutschen Bischofsversammlung an den Papst. Die Antwort Gregors VII. war der Kirchenbann und damit die Exkommunizierung des Königs, die seine Machtposition gefährdete. Daher blieb Heinrich nichts anderes übrig, als den beschwerlichen Bußgang anzutreten.
Der »Gang nach Canossa« hat sich bis heute als Sprachbild für die erzwungene Unterwerfung unter einen mächtigeren Gegenspieler erhalten. Dabei war Heinrich IV. gar nicht der dauerhaft Unterlegene. Im Gegenteil: Schon drei Jahre später (1080) gelang es ihm, seinen Widersacher Gregor VII. aus dem Amt zu jagen und mit Clemens III. einen getreuen Vasallen auf den Papstthron zu setzen. Noch hatte die Kirche nicht obsiegt, was seinerzeit auch in Paderborn deutlich wurde: Der hier 1084 vom König eingesetzte Gegenbischof Heinrich II. von Werl blieb trotz zahlreiche Bannflüche 43 Jahre im Amt! - ecke -

Artikel vom 29.09.2005