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Horchen auf das
heftige Echo eines
königlichen Kniefalls

Paderborn wagt den »Canossa-Gang« Heinrichs IV.

Von Manfred Stienecke
Paderborn/Rom (WB). Mit finanzieller Hilfe aus Paderborn sind drei wertvolle Handschriften aus der Bibliothek des Vatikans gesichert worden. Die restaurierten Originale, die am Dienstag in Rom erstmals vorgestellt wurden, gehören im nächsten Jahr zu den herausragenden Exponaten der Paderborner Mittelalter-Schau »Canossa 1077 - Erschütterung der Welt«.
Mit Perlen und Edelsteinen besetzt: »Adelheid-Kreuz«.

Mit etwa 700 Schaustücken von 200 Leihgebern aus dem In- und Ausland wird die Ausstellung, die vom 21. Juli bis zum 5. November parallel in drei Paderborner Museen gezeigt wird, die Zeit des sogenannten »Investiturstreits« aufscheinen lassen. Im 11. Jahrhundert entschied die Römische Kirche die Frage, wer zur Einsetzug hoher kirchlicher Würdenträger berechtigt ist, gegen die weltlichen Herrscher zu ihren Gunsten. Ihren historischen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung mit dem Bußgang König Heinrichs IV., der sich im Jahr 1077 im norditalienischen Canossa Papst Gregor VII. und damit der kirchlichen Gewalt unterordnete.
Die Paderborner Ausstellungsmacher haben sich die Aufgabe gestellt, diese geschichtliche Wendesituation als Erschütterung der damaligen Weltordnung mit ihren Auswirkungen bis in die heutige Zeit aufzuzeigen. »Wir versuchen, über die Darstellung und die Inszenierung eines Ereignisses in eine Epoche einzusteigen«, erläutert der Leiter des Paderborner Pfalzenmuseums, Prof. Dr. Matthias Wemhoff, das Ziel der drei Ausstellungsgesellschafter.
Wie schon 1999 bei der großen Paderborner Karolinger-Schau, die mit mehr als 300 000 Besuchern zu den bestbesuchten Präsentationen jenes Ausstellungsjahres in Deutschland gehörte, arbeiten die Stadt und das Erzbistum Paderborn sowie der Landschaftsverband Westfalen-Lippe Hand in Hand.
Eine historische Ausstellung - gerade wenn sie zeitlich so weit zurückblickt und ein auch örtlich entferntes Ereignis aufgreift - bedarf einer besonders schlüssigen Inszenierung, um ihr Publikum zu finden und für das Thema aufzuschließen. In Paderborn setzt man dabei gezielt auf die Überzeugungskraft des Originals. »Es verbietet sich, die Besucher der Ausstellung mit eindimensionalen Surrogaten und Faksimiles, die allerorts verfügbar sind, zu vertrösten«, erläutert der Direktor des Erzbischöflichen Diözesanmuseums in Paderborn, Prof. Dr. Christoph Stiegemann, die Ausstellungsphilosophie des »Canossa«-Projekts.
Wer Originale zeigen will, darf nicht knausern. Und so ist es den drei Partnern wieder gelungen, den für eine ambitionierte Mittelalter-Schau benötigten Etat von fünf Millionen Euro auf die Beine zu stellen. Die Stadt Paderborn beteiligt sich mit einer Million Euro, jeweils 500 000 Euro steuern das Erzbistum und der Landschaftsverband bei. Besonders erfreulich ist der hohe Anteil an privaten Sponsorenmitteln. Die etwa 30 im »Paderborner Kulturfonds« zusammengeschlossenen Firmen fördern das Projekt mit einer Million Euro. Etwa 1,5 Millionen Euro sollen durch Eintrittserlöse in die Kasse kommen, und die restlichen Mittel erhofft man sich als Zuschuss von Stiftungen und weiteren öffentlichen Geldgebern.
Wissenschaftlich fundiert wird das Projekt unter anderem durch einen internationalen Kongress, der sich im November mit dem Benediktinermönch Rogerus von Helmarshausen befasst. Als einer der ersten namentlich bekannten Künstlerpersönlichkeiten des Mittelalters schuf er in dem an der Diemel gelegenen Kloster unter anderem einen heute zum Paderborner Domschatz gehörenden goldenen Tragaltar.
Erforscht werden soll auch die Bedeutung einer vermutlich im Jahre 1058 vom damaligen Paderborner Bischof Imad gegründeten klösterlichen Schreibwerkstatt (Scriptorium), deren Existenz erst bei den Vorbereitungen zur Canossa-Ausstellung aufgedeckt wurde. In der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek stieß man auf eine zunächst unscheinbare Sammelhandschrift, die dem bislang unbekannten Paderborner Scriptorium zugeordnet werden konnte. Nach Angaben von Stiegemann handelt es sich bei ihr um »eine der bedeutendsten und produktivsten Schreibschulen in Norddeutschland«. Die Manuskriptsammlung aus dem Vatikan, die inzwischen ebenfalls mit Hilfe von Geldern aus Paderborn restauriert worden ist, berichtet unter anderem über den Brand des Paderborner Doms im Jahre 1058.
Zu den Glanzstücken der Canossa-Ausstellung im nächsten Sommer gehören zahlreiche Kunstschätze des 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts, darunter die aus Oberitalien stammende »Vita Mathildis« mit der frühesten bekannten bildlichen Darstellung des königlichen Kniefalls, der marmorne Papstthron aus der Kirche San Giovanni in Laterano in Rom, die bronzenen Lehnen des Kaiserthrons von Heinrich IV. aus Goslar sowie zentnerschwere Riesenbibeln.
In der Städtischen Galerie der Paderstadt soll außerdem dem Mythos und dem Sprachbild des »Canossa-Gangs« vom späten Mittelalter bis in die Jetztzeit nachgegangen werden.

Artikel vom 29.09.2005