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Steuerfahnder zu Besuch
bei Schönheitschirurgen

Viele Patienten müssen höhere Rechnungen zahlen

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Tausende Plastischer Operationen werden derzeit von nordrhein-westfälischen Finanzbeamten unter die Lupe genommen. Stoßen die Fahnder auf Eingriffe, die nicht von den Krankenkassen übernommen worden sind, müssen 16 Prozent Mehrwertsteuer nachgezahlt werden.
Dr. Hisham Fansa
Dr. Bernd Ruhnke
Diese Eingriffe wurden 2004 von Mitgliedern der Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschlands durchgeführt. Die Gesamtzahlen der plastischen Operationen in Deutschland sollen etwa drei Mal so hoch sein.

Ärztliche Leistungen sind von der Mehrwertsteuer befreit, sofern es sich um Heilbehandlungen handelt. Hier setzen die Finanzämter den Hebel an: »Wir gehen davon aus, dass Eingriffe, die nicht von den Krankenkassen bezahlt werden, auch nicht notwendig sind und damit keine Heilbehandlung im klassischen Sinne darstellen«, sagt Claudia Mehling, Sprecherin der Oberfinanzdirektion in Münster. Finanzbeamte überprüfen deshalb derzeit die Bücher niedergelassener Plastischer Chirurgen, aber auch die Abrechnungen von Krankenhäusern.
Die Entscheidungen, welche Operationen eine Kasse übernimmt, sind allerdings nach Ansicht von Ärzten gelegentlich willkürlich: »Es gibt junge Frauen, die darunter leiden, keine Brust zu haben, und von ihrer Kasse zur Psychotherapie geschickt werden. Andere Kassen wiederum bezahlen ein Implantat«, sagt Dr. Jörg Blesse, Plastischer Chirurg im Bielefelder Ärztehaus »Teutoklinik«. Er hält deshalb das Vorgehen der Finanzbehörden für problematisch. »Die Zahlungsbereitschaft der Kassen kann kein Kriterium dafür sein, ob eine Behandlung medizinisch geboten ist oder nicht.« Nach Blesses Erfahrung kommen 90 Prozent der Patienten zu ihm, weil sie seelisch oder körperlich leiden. »Nur zehn Prozent wollen etwa Stirnfalten gestrafft oder ihren Lippen verschönert haben.«
»Was die Finanzbehörden tun, ist höchst ungerecht«, sagt auch Privatdozent Dr. Hisham Fansa, Chefarzt der Klink für Plastische, Wiederherstellungs- und Ästethische Chirurgie an den Städtischen Kliniken Bielefeld. »Ich habe gerade einer Patientin aus jeder Brust 1000 Gramm entfernt. Vor der OP hatte die Frau Rücken- und Nackenschmerzen, vor allem im Sommer kamen noch Ekzeme dazu, weil Haut auf Haut lag.« Der Eingriff sei medizinisch notwendig gewesen, denn jetzt gehe es der Patientin deutlich besser: »Die Krankenkasse hat die Kosten trotzdem nicht übernommen.« Die Frau musste deshalb nicht nur die OP und den stationären Aufenthalt (4500 Euro) sowie die Narkose (1000 Euro) bezahlen, sondern auch noch 880 Euro Mehrwertsteuer.
Von »Abzockerei der Kranken« spricht auch Dr. Bernd Ruhnke, Leiter der Abteilung für Plastische Chirurgie und Handchirurgie am Städtischen Krankenhaus Gütersloh: »Die Kassen haben ihren Leistungskatalog in den vergangenen Jahren zusammengestrichen. Dadurch hat sich aber doch die Notwendigkeit bestimmter Eingriffe nicht geändert!«
Während künftig immer mehr Menschen neben den OP-Kosten auch die Mehrwertsteuer zahlen müssen, können Ärzte ihren Patienten für zurückliegende Eingriffe, bei denen die Finanzbehörderungen jetzt Nachforderungen haben, die Steuer nicht rückwirkend in Rechnung stellen. »Das hat bereits dazu geführt, dass ein Kollege, bei dem die Bücher bis 1998 geprüft worden sind, Insolvenz anmelden musste«, sagt Dr. Matthias Gensior aus Korchenbroich, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Ästethische Chirurgie Deutschlands. Der Arzt sei aufgefordert worden, eine Million Euro Steuern nachzuzahlen.

Artikel vom 29.09.2005