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Rüben-Ernte in Bielefeld
begleitet von Protesten

Reform der EU-Zuckermarktordnung führt zu Einbußen

Von Gerhard Hülsegge
und Carsten Borgmeier (Foto)
Bielefeld (WB). Ginge es nach Bielefelds Landwirten, bekäme Mariann Fischer Boel - natürlich nur im übertragenen Sinne - gewaltig eins auf die »Rübe«. War es doch die dänische EU-Agrarkommissarin, die vorgeschlagen hat, die Zuckermarktordnung in der Europäischen Union zu reformieren.

Die Bauern fürchten den Verlust von 60 Prozent ihres Einkommens. »Erhalten wir nur noch 25 statt 44 Euro für die Tonne Zuckerrüben, bleibt unterm Strich kaum etwas übrig«, erklärte Heinrich Dingerdissen gestern gegenüber dem WESTFALEN-BLATT. Der Sprecher des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Bielefeld ist Schweinemäster, erntet aber auf knapp fünf Hektar seines Betriebes an der Dingerdisser Straße in Oldentrup auch 3000 Doppelzentner Rüben jährlich. Der Umsatz von 14000 Euro ist jetzt gefährdet.
Denn mit den garantierten Mindestpreisen samt Quotensystem bei der bisherigen Rüben- und Zuckererzeugung soll es spätestens am 1. Juli 2006 ein Ende haben. Die EU-Kommission hat den Agrarministern empfohlen, die garantierten Mindestpreise um 37 Prozent zu senken und die Anbauquoten um 16 Prozent zu kürzen. Gleichzeitig sollen die Importbeschränkungen vollständig aufgehoben werden.
Käme der Zucker künftig aus Brasilien, verdienten laut Dingerdissen daran nur die Großbarone, während die Menschen in Lateinamerika für Hungerlöhne schuften müssten. Düngeverordnung und Pflanzenschutz spielten dann keine Rolle mehr, beklagt der Sprecher der Landwirte.
Unterdessen rollen sie wieder, die Lkw der Abfuhrgemeinschaft hiesiger Landwirte von Vilsendorf über Werther bis nach Bielefeld-Ost. Sie bringen die jetzt reifen Rüben in den Zuckerbetrieb Pfeifer & Langen nach Lage, Hauptabnehmer in OWL neben dem Betrieb in Warburg (Südzucker AG). Der Rübenanbauer-Verband in Lage wacht darüber, dass das Preis-Leistungsverhältnis stimmt.
Dabei ziehen Landwirte und Zuckerindustrie durchaus an einem Strang. Denn nicht nur die 50 der noch verbliebenen 180 Hofbetreiber in Bielefeld, die auf rund 400 Hektar Fläche Zuckerrübenernte betreiben, protestieren seit Monaten (Motto: »Ohne Not macht die EU Existenzen tot«) gegen das Vorhaben der Europäischen Union und der Agrarminister. Auch die verarbeitenden Betriebe sehen ihre rund 200 Arbeitsplätze gefährdet. »Sie müssen mindestens 75 Tage im Jahr ausgelastet sein«, weiß Dingerdissen.
In Westfalen-Lippe erzeugen knapp 2000 Rübenanbauer Zucker. »Konkrete Protestaktionen sind derzeit nicht geplant«, meinte Rota Rehring, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Landwirtschaftsverband OWL, gestern auf Anfrage. Man wolle zuerst das Votum der Welthandelsorganisation WTO im Dezember abwarten.

Artikel vom 28.09.2005