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Polen setzen auf Mitte-Rechts

Die Zwillinge Kaczynski rücken an die Spitze des deutschen Nachbarlandes

Von Pawel Sobzak
Warschau (Reuters). Den Mitte-Rechts-Parteien in Polen ist bei der Parlamentswahl der Machtwechsel gelungen.

Nach ihrem Triumph über die Linke stehen sie nun aber vor schwierigen Koalitionsverhandlungen über Tempo und Umfang der angekündigten Wirtschaftsreformen. Die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter den Zwillingsbrüdern Lech und Jaroslaw Kaczynski wurde den Ergebnissen gestern zufolge stärkste politische Kraft, knapp gefolgt von der liberalen Bürgerplattform (PO).
Nach Auszählung der Stimmen in 90 Prozent der Wahlbezirke erhielt die PiS bei der Parlamentswahl am Sonntag 26,6 Prozent der Stimmen, die Bürgerplattform kam auf 24,2 Prozent. Auf dieser Basis hat die Koalition mindestens 274 der 460 Sitze im Parlament.
Die Fraktion des bislang regierenden Bündnisses der Demokratischen Linken (SDL) schrumpfte mit 11,4 Prozent der Stimmen auf 50 Abgeordnete von zuletzt 217. Das ist das schlechteste Ergebnis der Partei, seit sie 1990 von ehemaligen Kommunisten gegründet wurde. Von den populistischen und anti-europäischen Parteien zogen die Partei der Selbstverteidigung (SO) unter Andrzej Lepper mit 11,7 Prozent, die erz-katholische Liga polnischer Familien (LPR) mit 7,9 Prozent und die Bauernpartei (PSL) mit 7,0 Prozent ins Parlament ein. Die Wahlbeteiligung lag bei 40,2 Prozent.
»Es zeigt sich, dass diejenigen, die einen grundlegenden Wandel wollen, bei dieser Wahl in einer großen Mehrheit sind«, sagte der 56-jährige PiS-Spitzenkandidat Jaroslaw Kaczynski, der neuer Regierungschef werden dürfte. Es wurde allerdings damit gerechnet, dass er seinen Anspruch auf das Amt erst offen ankündigt, wenn klar ist, wie sein Zwillingsbruder Lech bei der für den 9. Oktober angesetzten Präsidentenwahl abschneidet. PiS und PO waren beide mit dem Versprechen angetreten, mit Korruption und Vetternwirtschaft der Linken aufzuräumen, die Steuern zu senken und die Arbeitslosigkeit - mit 18 Prozent die höchste in der Europäischen Union (EU) - abzubauen.
Die PO plädiert für offene Märkte, weniger Arbeitnehmerrechte, radikale Kürzungen der Staatsausgaben und weit reichende Privatisierungen. Die PiS will dagegen die soziale Marktwirtschaft schützen, die öffentliche Verschuldung in Stufen auf das in Europa angestrebte Niveau reduzieren und zahlreiche staatliche Unternehmen in der öffentlichen Hand behalten.
Die Börse in Warschau und der Zloty gaben gestern leicht nach. Die Investoren hatten auf einen PO-Sieg gesetzt und die Kurse damit in die Höhe getrieben.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der PiS, Kazimierz Marcinkiewicz, schloss einen Beitritt des Landes zur Euro-Zone vor dem Jahr 2010 aus und erklärte einer Steuerreform noch in 2006 eine Absage. Das PO-Modell eines einheitlichen Satzes von 15 Prozent für Einkommen-, Unternehmen- und Mehrwertsteuer sei keine Option, sagte er weiter.
Kritiker warnten davon, dass Jaroslaw Kaczynski zu wenig internationale Erfahrung habe. Während des Wahlkampfs hat der 56-Jährige wiederholt auch Deutschland angegriffen und gegen dessen Zusammenarbeit mit Russland polemisiert. Dagegen hatten die PO und Angela Merkel von der CDU bereits enge Kontakte geknüpft.

Artikel vom 27.09.2005