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Band innerer Übereinkunft

Fulminant in die Pro Musica-Saison

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Mit Bravo-Rufen hat das Publikum am Montagabend den fulminanten Auftakt in die Pro Musica-Saison quittiert. Das Hallé Orchestra Manchester unter Mark Elder und Geigenvirtuose Nikolaj Znaider ließen sich in der fast ausverkauften Oetkerhalle frenetisch feiern.

Völlig zu recht, denn Englands ältestes Berufsorchester, das über einen bemerkenswerten Stamm junger Musiker verfügt, empfahl sich als Klangkörper von höchster Spielkultur. Technische Prägnanz und Beweglichkeit finden in Elder seit fünf Jahren einen kongenialen Schöpfer kompositorischer Plastiken. Elder modelliert die Stimmen so, dass er einerseits den dichten Orchesterklang nutzt, gleichzeitig aber auf enorme Durchsichtigkeit bedacht ist. Hinzu gesellt sich eine kleinteilige Phrasierungsarbeit, die aus facettenreicher Tempo-, Dynamik- und Akzentuierungsarbeit resultiert -Êvon metrischen Finessen ganz abgesehen. Das Ergebnis ist von berauschender Wirkung.
Umrahmt von zwei englischen Komponisten - ÊRalph Vaughan Williams »Die Wespen« mit beinahe physisch spürbarem Wespenschwarm sowie zwei Elgar-Zugaben (die eine von erschütternder Melancholie, die andere von mitreißendem Schwung) -Ê gehörte der Mittelteil den großen romantischen Sinfonien lyrisch-folkloristischer Prägung.
Johannes Brahms Violinkonzert D-Dur gerät bei Znaider, dem 30-jährigen Geiger israelisch-polnischer Abstammung, zur elektrisierenden Klangrede. Betörend der samtig weiche Ton seiner Stradivari, bewundernswert die schier unbegrenzten manuellen Fähigkeiten, die ihm eine ungeahnte Bandbreite an Ausdrucksnuancen erlauben. Was das Spiel dieses international gefragten Virtuosen hingegen einzigartig und unvergesslich macht, ist die interpretatorische Tiefe, die intensive lyrische Durchdringung des Notentextes. Nikolaj Znaider verfügt zudem über geigerisches Charisma sowie den Mut, auch unkonventionelle, im Bewegungsmodus bisweilen impulsiv wirkende Ausdrucksmodi zu erzeugen und somit dem Publikum einen neuen Zugang zu Altbekanntem zu eröffnen. Sprühende Vitalität, peitschende Dramatik, herrlich lichter Walzerrausch -Êder Puls, mit dem das Orchester am Ende Antonin Dvoráks achter Sinfonie Leben einhaucht, kennt den tiefen Atemzug ebenso wie die kurze »Muskelzuckung«. Elder benötigt dazu nicht einmal die große Geste. Das Band der inneren Übereinkunft zwischen Kapitän und Mannschaft blieb eher unsichtbar, dafür aber unüberhörbar grandios.

Artikel vom 28.09.2005