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Gericht spricht
Opfer Rente zu

Nicht angeschnallt: Mann gelähmt

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WB). Obwohl er nicht angeschnallt war, hat das Landgericht Paderborn einem Beifahrer, der bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde, eine halbe Million Euro Schadenersatz, Schmerzensgeld und Erwerbsunfähigkeitsrente zugesprochen.

Der Unfall liegt drei Jahre zurück. Der damals 21-jährige Ümit Y. saß im Auto seines Freundes, als dieser die Kontrolle über seinen Wagen verlor. Mit etwa 50 Kilometern pro Stunde prallte der Vectra gegen einen Baum. Noch bevor der unversehrt gebliebene Fahrer die Unfallstelle sichern und seinem bei der Kollision offenbar leicht verletzten Beifahrer aus dem Auto helfen konnte, krachte es erneut. Ein Opel Corsa fuhr auf den unbeleuchtet auf der Fahrbahn stehenden Vectra auf.
Da war kein Gurt, der den jungen Azubi gehalten hätte. Ümit Y. schlug mit dem Kopf auf den Schalthebel. Er zog sich schwerste Schädelverletzungen zu und musste vom Notarzt reanimiert werden. Das Unfallopfer wird heute noch in einer neurologischen Klinik behandelt, ist halbseitig gelähmt, sieht doppelt, kann sich nur mühsam mit Hilfe eines Rollators fortbewegen und allenfalls Arbeiten auf dem Niveau eines Sonderschülers verrichten. Seinen Beruf als Sanitär- und Bauklempner wird der Paderborner nach Aussage der Ärzte niemals ausüben können.
Trotzdem weigerte sich die Haftpflichtversicherung des Vectrafahrers, für die Folgen aufzukommen. Mit Gurt wäre der Kläger wahrscheinlich unverletzt geblieben und hätte das Fahrzeug aus eigener Kraft verlassen können, argumentierte die Assekuranz. Die entscheidenden Verletzungen habe er sich ohnehin bei dem nachfolgenden Unfall zugezogen, so dass allenfalls die Versicherungsgesellschaft des anderen Pkw in der Haftungspflicht sei.
»Falsch«, meinte indes der Paderborner Rechtsanwalt Dr. Andreas Jolmes, der den Beifahrer vertrat. Der zweite Unfall sei erst durch den ersten entstanden und haftungsrechtlich deshalb der Beklagten zuzurechnen. »Meinen Mandanten trifft auch kein Mitverschulden, weil er nicht angeschnallt war«, meinte der Verkehrsrechtsexperte. »Denn zum Zeitpunkt der zweiten Kollision musste er gar nicht angeschnallt sein, da Gurtpflicht nur während der Fahrt besteht, das Fahrzeug, in dem er saß, aber bereits zum Stillstand gekommen war.«
Das Gericht sah auch keine Mitschuld in der Tatsache, dass Ümit Y. das Unfallauto nicht sofort verlassen hatte. Schließlich habe zwischen den beiden Kollisionen nur eine sehr kurze Zeitspanne gelegen.
Zusätzlich zum Schmerzensgeld von 220 000 Euro muss die Versicherung Ümit Y. bis zu dessen 65. Lebensjahr eine monatliche Rente von 523,50 Euro zahlen.
LG Paderborn, Az.: 3 O 33/04

Artikel vom 28.09.2005