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Union: Merkel wird Kanzlerin

SPD verlangt ein Regierungsbündnis »auf gleicher Augenhöhe«

Berlin (dpa/Reuters). Nur nicht nachgeben - CDU und SPD beharren auf die Kanzlerschaft in einer möglichen großen Koalition. So wie die Union als größte Fraktion auf Angela Merkel als Bundeskanzlerin besteht, beharrt die SPD auf Gerhard Schröder.

Die mächtigen CDU-Ministerpräsidenten haben Überlegungen aus der SPD kategorisch abgelehnt, die Kanzlerschaft zwischen dem bisherigen Amtsinhaber Gerhard Schröder (SPD) und Merkel zu teilen.
Kurz vor der zweiten Sondierungsrunde morgen mit der SPD-Spitze stellte Merkel erstmals auch inhaltliche Bedingungen mit dem Ziel einer »Regierung der Erneuerung«.
Die SPD will eine große Koalition mit der Union unter Hinweis auf das Wahlergebnis nur »auf gleicher Augenhöhe« eingehen. »Die Voraussetzung ist, was die Vertrauensbasis angeht, die Anerkennung, dass wir als der größere Partner die Kanzlerin stellen«, sagte Merkel gestern nach einer Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin. Erst dann könne über Koalitionsverhandlungen entschieden werden.
Die CDU-Chefin machte deutlich, dass die Entscheidung für eine große Koalition noch nicht gefallen sei. »Wir sind uns alle einig, dass ein Ja zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der SPD noch lange nicht gegeben ist und alle anderen Möglichkeiten deshalb auch noch nicht ausgeschieden sind.« Mit der SPD müsse es neben einer gemeinsamen Vertrauensbasis auch eine gemeinsame Einschätzung der wirtschaftlichen und finanziellen Situation Deutschlands sowie den Willen für eine »Regierung der Erneuerung« geben.
Merkel geht aber von weiteren Treffen voraussichtlich in der kommenden Woche aus. »Die Sondierungsgespräche werden aller Voraussicht nach auch nach Mittwoch noch einmal weitergehen.«
Die SPD will auf gleicher Augenhöhe eine Koalition mit der Union eingehen. Anders als bei früheren Koalitionen stünden sich diesmal zwei annähernd »gleich starke Partner« gegenüber. Die SPD habe »überhaupt keinen Anlass«, vom Führungsanspruch Gerhard Schröders abzuweichen, betonte der Parteirats-Vorsitzende Rüdiger Fikentscher nach Beratungen der SPD-Gremien gestern in Berlin.
Schröder sagte dabei nach Teilnehmerangaben, bei dem Streit um die Kanzlerschaft »geht es nicht um mich, sondern um unsere Politik«.
Schröder habe deutlich gemacht, dass er eine »stabile, auf vier Jahre angelegte Koalition« wolle. Die SPD wolle ihre Reformen fortsetzen, dem Sozialstaat eine Perspektive geben und die ökologische Erneuerung vorantreiben. Deshalb müssten die Inhalte in den Koalitionsgesprächen zuvor gründlich »ausverhandelt« werden.
Auch Fikentscher sagte, es gehe »nicht um den Ehrgeiz einer Person, sondern um den Machtanspruch der Partei«. Deutschland sei nach dem Wahlergebnis vom 18. September mehr sozialdemokratisch als konservativ. »Deshalb beanspruchen wir die Führung.«
SPD-Vize Wolfgang Thierse sagte mit Blick auf das Unions-Ultimatum, noch vor Aufnahme von Verhandlungen die Kanzlerschafts-Ansprüche der CDU-Chefin Angela Merkel anzuerkennen, bei zwei »nur um Nuancen unterschiedlich großen Partnern« seien »Unterwerfungsgesten fehl am Platz«. Man müsse andere »Modalitäten des Umgangs finden«. Die SPD gehe in die Gespräche mit der Union, »um zu regieren unter Führung von Gerhard Schröder und möglichst viel von ihrem Wahlmanifest umzusetzen«.
In den Beratungen von Präsidium, Vorstand und auch Parteirat der SPD hätten mehrere Teilnehmer vor einer Koalition mit der Union »um jeden Preis« gewarnt, verlautete aus Parteikreisen.
Scharfe Kritik richtete sich gegen SPD-Parteivize Kurt Beck. Der rheinland-pfälzische Regierungschef hatte eine große Koalition ohne Schröder grundsätzlich nicht ausgeschlossen.
Die Grünen haben Union und SPD eindringlich zu einem Ende der »Schaukämpfe« und zu ernsthaften inhaltlichen Gesprächen über eine Regierungsbildung aufgefordert.
Die großen Parteien müssten »das personalpolitische Fingerhakeln« zurückstellen, sagte der Vorsitzende Reinhard Bütikofer. Der Anspruch von Angela Merkel stehe auch nicht »auf viel solideren Füßen« als der des Bundeskanzlers.
Die Linkspartei bleibt beim Nein zu einer Kanzlerwahl Gerhard Schröders. Es sei nicht damit zu rechnen, dass die SPD ihre Einschnitte ins Sozialsystem rückgängig mache, daher entfalle diese Möglichkeit, sagte Parteichef Lothar Bisky.

Artikel vom 27.09.2005