27.09.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Zivilcourage,
mit der keiner
gerechnet hat

Rollenspiel mit unerwartetem Ende

Von Stefanie Westing
Espelkamp (WB). Die junge Frau beobachtet eine alte, gebrechliche Dame, die mit ihrem Gehwagen in der Nähe des Bürgerhauses unterwegs ist. Schließlich spricht sie die Seniorin an: »Können Sie mir sagen, wie spät es ist?« Die kurze Ablenkung reicht für den Komplizen der jungen Frau aus, um die Handtasche der Älteren aus dem Gehwagen zu stehlen.

Diese Szene spielte sich am Sonntag mitten im City-Fest-Trubel ab. Glücklicherweise handelte es sich aber um eine nachgestellte Situation. Rosemarie Czitrich war in die Rolle der gebrechlichen Seniorin geschlüpft, Sabri Ayas und Tatjana Romanow spielten die Diebe. Das Rollenspiel fand im Rahmen der »Aktion Zivilcourage - Wer nichts tut, macht mit« statt und beruhte auf einer wahren Begebenheit. Denn tatsächlich waren einer hilflosen Seniorin auf der Breslauer Straße vor einigen Wochen mehrere hundert Euro aus ihrem Gehwagen gestohlen worden. Durch die öffentliche Szene wollten die Verantwortlichen - Polizei, Stadt Espelkamp, Projekt »Doors« des Ludwig-Steil-Hofes kooperierten mit dem »Projekt IdEaL - Integration durch Espelkamper Senioren in alltägliche Lebensbereiche« des DRK-Kreisverbandes - Möglichkeiten aufzeigen, wie Unbeteiligte in einer solchen Situation helfen können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.
Volker Pfeiffer, Leiter der Espelkamper Polizeiwache, hatte die Szene angekündigt. Dies war aber im Trubel nicht bei allen Passanten angekommen. Und so packte Besucher Stefan Meier den vermeintlichen »Dieb« am Kragen und rief laut nach der Polizei. »Die Situation kam uns komisch vor«, sagte er, der gemeinsam mit seiner Frau Martina eingegriffen hatte, hinterher. Bernadette Seibert vom Projekt »Doors« kommentierte: »Wenn einem eine Situation komisch vorkommt, stimmt auch oft etwas nicht. Nur dort, wo der Täter glaubt, leichtes Spiel zu haben, traut er sich, zuzugreifen.« An das Ehepaar Meier gewandt, fügte sie hinzu: »Vorbildlich: Sie haben Zivilcourage gezeigt, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.«
In einer zweiten Szene gerieten die »Spaziergänger« Brigitte Piekert und Georg Pfau nach einem Rempler mit den Jugendlichen Marina Dihanova und Sabri Ayas aneinander. Die alltägliche Situation schaukelte sich zu einem Streit hoch, der zu eskalieren drohte. »Senioren ziehen bei solchen Begegnungen oft den kürzeren«, sagte Pfeiffer. Sein Rat: Konfrontationen meiden, einfach weitergehen. Anschließend suchten die Beamten mit den Zuschauern das Gespräch und verteilten die gerade neu erschienenen Seniorenbriefe. »Wir sind sehr zufrieden mit dem Verlauf. Viele Besucher von außerhalb zeigten sich erstaunt, was in Espelkamp alles getan wird, um Zivilcourage zu fördern«, resümierte Pfeiffer.

Artikel vom 27.09.2005