26.09.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Merkel bekräftigt den Anspruch auf Führung

Schröder will zur Lösung der Koalitionsfrage beitragen

Von Dietmar Kemper
und unseren Nachrichtenagenturen
Berlin/Detmold (WB). Nicht ohne Merkel als Kanzlerin: Die Union gab sich am Wochenende eindeutig. Nur Gerhard Schröder hielt dagegen.

»Ich bin dafür, dass diese Koalition zu Stande kommt, ich werde alles dafür tun, damit sie zu Stande kommt«, sagte der Noch-Kanzler im »Bericht aus Berlin« der ARD. »Ich denke überhaupt nicht daran, mich unter dem Druck von ein paar Provinzpolitikern der CDU zu irgendwelchen Zugeständnissen bringen zu lassen.« Er betonte aber, die Führungsfrage in einer großen Koalition »wird gelöst werden«.
Fast zeitgleich bekräftigten die CDU-Bundesvorsitzende Merkel, CSU-Chef Edmund Stoiber und Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) den Anspruch auf das Kanzleramt bei einem gemeinsamen Auftritt. »Wir bestimmen, wer die Nummer Eins in Deutschland wird, denn wir sind die stärkste politische Gruppe im Deutschen Bundestag«, sagte Koch.
Nach allen demokratischen Regeln habe die Union den Auftrag zur Regierungsbildung, sagte Merkel: »Rot-Grün ist abgewählt.« Die Grünen hätten dies begriffen, die SPD werde dafür noch einige Tage brauchen: »Die sollen sie haben.«
Stoiber erklärte, die Union habe als Volkspartei einen Führungsanspruch für Deutschland, weil sie alle Schichten der Gesellschaft vertrete. Koch appellierte an die politische Verantwortung der SPD und forderte Bundeskanzler Schröder (SPD) zum Rückzug auf. In seinem »Größenwahn« nehme Schröder die eigene Partei in »psychologische Geiselhaft«. Deutschlands dramatische Lage lasse aber nicht viel Zeit.
Die gleichfalls bekanntgewordene Andeutung des rheinland-pfälzischen SPD-Ministerpräsidenten, Kurt Beck, eine große Koalition sei auch ohne Gerhard Schröder an der Spitze denkbar, begrüßte NRW-Kollege Jürgen Rüttgers (CDU) am Samstag in Detmold als »Rückkehr der SPD zur Realität und zu den demokratischen Spielregeln«. Die Union habe bei der Wahl am 18. September 400 000 Stimmen mehr als die SPD bekommen und deshalb gebühre Angela Merkel die Kanzlerschaft.
Rüttgers lehnte im Gespräch mit dieser Zeitung eine Doppellösung ab. »Wir brauchen klare Verhältnisse«, betonte der Ministerpräsident. Es sei nicht hilfreich, wenn Angela Merkel und Gerhard Schröder sich nach zwei Jahren im Kanzleramt abwechseln würden.
Das in der Musik beherzigte Modell mit mehreren Dirigenten und Chören gleichzeitig solle besser nicht auf die Politik übertragen werden. Ebenso wenig hält Rüttgers von der Forderung nach Neuwahlen wegen der schwierigen Mehrheitsbildung im Bundestag. Und Rüttgers sagte weiter: »Die Menschen haben votiert und wir können nicht so lange wählen lassen, bis das Ergebnis eindeutiger ausfällt.«
Gleichzeitig bat Rüttgers die Bevölkerung um Geduld: »Wir haben noch keine Hängepartie. Man darf von den Politikern nicht zu schnell zu viel erwarten.«
Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, kritisierte bei der Verabschiedung des Superintendenten der Lippischen Landeskirche, Gerrit Noltensmeier, die Diskussionen in Berlin: »Sie sind stärker durch Namen als durch Themen, stärker durch Farben als durch Inhalte geprägt.« Es werde höchste Zeit, dass sich die Parteien wieder der zentralen Zukunftsfrage zuwenden, wie soziale Gerechtigkeit gewahrt und gefördert werden kann.

Artikel vom 26.09.2005