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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr.Dr. Markus Jacobs


Haben Sie heute schon mit jemandem gesprochen? Und, haben Sie die andere Person verstanden? Wenn ja: wundert Sie das überhaupt? Aber Sie lesen ja auch im Moment diesen Text. Sie beherrschen zwar die deutsche Sprache, doch wieso können Sie eigentlich hoffen, die Gedanken eines anderen Menschen nachvollziehen zu können?
Die Kette solcher Fragen ließe sich unendlich verlängern. Um es aber kurz zu sagen: Es geht um den Heiligen Geist. Der Heilige Geist ist eine verborgene Dimension des Wesens Gottes, und doch vollziehen wir allein mit seiner Hilfe die alltäglichsten Dinge des Lebens.
Es gibt Menschen, die sehen es als selbstverständlich an, dass sie die Gefühle eines anderen Menschen erahnen können. Es überrascht sie auch nicht, dass sie den Sinn eines Textes begreifen. Sie denken nie darüber nach, wie es kommt, dass sie von der Freude oder der Trauer anderer berührt werden. Ebenso halten sie es für völlig normal, dass sie z. B. die Entstehung von elektrischen Spannungen in einem Gewitter erforschen können oder all die anderen Dinge erlernen, die zum Verstehen unserer Welt beitragen. Dabei ist doch dies alles nur möglich durch den Geist Gottes.
Dieser Geist Gottes wirkt in uns. Er wirkt in der ganzen Schöpfung seit Anbeginn. Die Bibel sagt deshalb, dass der Geist schon über der Urflut lag (Gen 1,2). Nur in seiner Kraft ist es möglich zu denken, zu deuten, mitzufühlen, zu lieben. Er allein schafft die Verbindung zwischen einzelnen Menschen. Aber es geht nicht nur um uns Menschen. Der Geist schafft genau so zwischen den verschiedensten Wirklichkeiten in unserer Welt. Das Leben verstehen wir nur mit seiner Hilfe.
Kein Forscher ist aus sich in der Lage, die wirklichen Geheimnisse der göttlichen Schöpfung zu erforschen. Nur mit Hilfe von Gottes Geist finden wir Wege des Lebens, die für alle gerecht und heilbringend sind. Der Geist Gottes ist also so grundlegend für unser Leben, dass wir ohne ihn gar nicht aus unserem inneren Schneckenhaus herauskämen. Ohne den Geist verstehen wir weder uns selbst noch andere.
Aber der Geist Gottes ist noch größer. Er vermag uns sogar in Geheimnisse einzuführen, nicht einmal mit den Menschen bekannten Dimensionen des Lebens zu tun haben. Deshalb hat Jesus die Gläubigen aufgefordert, um den Geist zu beten. Die Kirche erfuhr am Pfingsttag sogar das Geschenk einer besonderen Ausgießung des Geistes. Darauf hatten die ersten Christen gewartet, denn Jesus hatte gesagt: »Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren.« (Joh 14,26)
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass bestimmte Menschen mehr für den guten Geist in unserer Welt, mehr für die Verständigung, mehr für die Liebe in dieser Welt wirken als andere. Einen gewissen Anteil am Geist Gottes haben wir alle - wohlgemerkt: ohne eigene Leistung. Aber es gibt Menschen, die bemühen sich mehr um diesen Geist. Sie erbitten ihn, sie verstehen seine göttliche Quelle und wirken deshalb erfolgreicher an der Verbindung der Geschöpfe in unserer Welt und vor allem an der Verbindung der Geschöpfe mit Gott.
Denn dieser Geist ist ein Teil des Wesens Gottes. Deshalb sagt Jesus: »Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten.« (Joh 4,24) Wahrscheinlich ist der Geist die am häufigsten übersehene Dimension Gottes. Nur wer über das anscheinend Selbstverständliche staunt, kommt ihm näher.

Artikel vom 24.09.2005