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»Goethes Faust sollte ein
jeder Student mal gelesen haben«

1956 wurde er in Schwäbisch Gmünd geboren, aufgewachsen ist er im Hohenloischen und im Oberen Donautal: Prof. Dr. Wolfgang Braungart. Seit 1996 ist er Professor für »Allgemeine Literaturwissenschaft und Neuere deutsche Literatur« an der Universität Bielefeld - er ist tätig in der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft. Der Germanist stellte sich den Fragen von Laura-Lena Förster.
Was haben Sie vor 20 Jahren auf die Frage geantwortet: »Wo sehen Sie sich in 20 Jahren?« Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Ich hätte mir damals viele Berufswege vorstellen können: auch Schule, Museum oder öffentliche Kulturarbeit. Die berufliche Laufbahn war nicht wirklich geplant; eher hat sie sich aus der Freude an Forschung und Lehre heraus ergeben.

Warum haben Sie sich für die Arbeit an der Uni entschieden? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Es war, wie gesagt, eigentlich keine wirkliche Entscheidung; die Arbeit in Forschung und Lehre während meiner Assistentenzeit, also von 1985 1994, machte mir einfach Freude. Sie lief dann auf die Habilitation und die Bewerbung um eine Professur zu.

Was machen Sie lieber: lehren oder forschen? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Beides gehört für mich unbedingt zusammen. An einem reinen Forschungsinstitut möchte ich nicht arbeiten. Für das eigene Denken brauche ich neugierige Menschen, die etwas von mir wissen wollen, mit denen ich mich auseinandersetzen kann, die mich herausfordern. Dann fällt mir auch etwas ein.

Warum sollten junge Menschen studieren? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Es ist die einzige Phase im Leben, die man hat, um sich umfassend und konzentriert auf dem Gebiet auszubilden, für das man sich selbst entschieden hat und das einen wirklich interessiert -Êoder interessieren sollte. Eine solche Phase zusammenhängenden, selbstbestimmten Lernens, in der sich der Geist wirklich entfalten darf -Êund sollte -, hat man wohl nie wieder.

Wenn Sie noch einmal Student wären, für welches Fach würden Sie sich entscheiden? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Noch einmal für dieselben Fächer, also (Germanistik/Literaturwissenschaft, Kunst, Philosophie. Sehr gerne hätte ich damals schon Chemie und Architektur studiert; wenn ich könnte, würde ich das auch heute noch gerne tun.

Welches Buch halten Sie im Studium für unverzichtbar? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Goethes Faust, und zwar die Teile I und II - und für alle, gleichgültig welches Fach man studiert.

Was gefällt Ihnen an der Universität Bielefeld besonders gut? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Sie bietet - trotz aller Einschränkungen, die auch hier spürbar sind - große Spielräume, in Forschung und Lehre das zu tun, was einem wirklich wichtig ist.
Die Universität Bielefeld lädt, bei aller Kritik, die ich an der Architektur habe, zum Gespräch und zur Zusammenarbeit mit Studierenden und Lehrenden über die Fächergrenzen hinweg ein. Was für die Zukunft heißt: Man darf die Fächer nicht auf eine Schmalspur-Universität zusammen-kürzen.

Wann haben Sie sich das letzte Mal in der Uni verlaufen? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Das passiert mir bis heute immer wieder einmal, aber nicht weil die Uni so unübersichtlich wäre, sondern weil ich mich auf andere Dinge konzentriere.

Welche deutsche Universität verdient Ihrer Ansicht nach den Titel »Elite-Uni«? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Ich bin bei diesem Titel skeptisch. »Elite« muss jeder sein wollen auf dem Gebiet, auf dem er tätig ist und für das er sich entschieden hat. Sonst vertut man sein Leben. Und auch das hat man, wie die Studienzeit, eben nur einmal. Ein großer Vorzug der deutschen Universität ist, dass es auch an kleineren, in der angeblichen Provinz gelegenen Universitäten ganz ausgezeichnete, engagierte Lehrende und ganz ausgezeichnete, engagierte Studenten gibt.

Was erhoffen Sie sich für Ihren Fachbereich von Studiengebühren? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Ganz klar: die Verbesserung der Lehrsituation.

Mit welchem Verkehrsmittel kommen Sie zur Bielefelder
Universität?
Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Ausschließlich mit dem Fahrrad.

Was ist Ihr Lieblingsgericht in der Mensa? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Ich habe kein Lieblingsgericht; in die Mensa gehe ich mehr aus geselligenâ Gründen: mit meiner Arbeitsgruppe, um möglichst oft Gelegenheit zum etwas entspannteren Gespräch zu haben. Darum meide ich auch möglichst die große Mensa; sie ist viel zu laut.

Wann war Ihre letzte Studentenparty? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Partys habe ich immer, auch schon als Schüler, zu vermeiden versucht: zu laut, zu hektisch, meistens schreckliche Musik, kaum Gelegenheit zum Gespräch.

Welchen Familienstand haben Sie? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Ich bin verheiratet.

Sie haben auch zwei Töchter. Inwieweit erfahren Sie seitens Ihrer Familie Unterstützung für Ihren Beruf? Prof. Dr. Wolfgang Braungart: Unsere Kinder waren und sind immer das erste Opfer. Die Bildungskatastrophe sitzt immer mit am Tisch. Unsere jüngere Tochter sagte einmal, ihr Vater leide unter einem unnatürlichen Bewegungs- und Kulturdrang. Ob ich überhaupt wisse, wie anstrengend ich sein könne. Im Ernst: Ich hatte immer das Gefühl, dass meine Frau, unsere Kinder von Anfang an verstanden haben, warum ich das tue, was ich tue. Die Arbeit in Forschung und Lehre reicht ganz weit ins Familienleben hinein - das Telefon, die Gäste, die Arbeit daheim, die wissenschaftlichen Probleme, die nicht im Arbeitszimmer zurückbleiben. Die Familie hat das nicht nur immer toleriert; sie hat immer mitgetragen, dassich nicht bloß einen Job mache. Meine Frau ist im übrigen seit jeher für mich der erste und wichtigste Mensch, um pädagogische und wissenschaftliche Probleme zu besprechen.

Artikel vom 11.10.2005