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Aus einer Glosse
der Zeitung »Die Welt«

»Schröder hält das Wahlergebnis für eine Prognose, aus der sich ein Trend pro SPD ergibt.«

Leitartikel
Betrug am Wähler oder was?

Ein klares Ja und (k)ein »Dementi«


Von Rolf Dressler
Was in Sonntagsreden gern schwülstig beteuert wird und in Politik-Seminaren zur StandardAusstattung gehört, muss der schnöden Wirklichkeit durchaus nicht immer entsprechen.
Demokratische Wahlen, Bundestagswahlen noch zudem, so heißt es dort, seien selbstver- ständlich kein Wunschkonzert für eigensüchtige Parteien und deren ehrgeizige Aktivisten - wo kämen »wir« denn da wohl hin!
Nur leider trügt der schöne Schein ganz mächtig. Dafür sorgt nach der Neuwahl vom 18. September maßgeblich die SPD-Spitze. Vorneweg Noch-Kanzler Gerhard Schröder und Parteichef Franz Müntefering. Frech-forsch intonieren sie ihr ganz eigenes Wunschkonzert.
Ungezählte Bürger sind verärgert, bestürzt und erbost über den folgenschweren Wahlausgang, den sie freilich selbst herbeigeführt haben. Ungeniert aber legt die SPD sogar noch kräftig nach: Am liebsten noch mit einer Mehrheitsentscheidung der abgewählten Roten und Grünen möchten Schröder, Müntefering & Co. die seit 1949 bestehende Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU in zwei unabhängige Abgeordnetenblöcke aufspalten.
Perfider, unverfrorener geht es kaum. Doch die kalte Wut, von der die Wählerschaft gepackt wird, drückt nur aus, wie ohnmächtig im Grunde diejenigen sind, die alle vier Jahre brav ihr Kreuzchen (an der richtigen Stelle) machen sollen, ansonsten aber weithin einflusslos mitansehen müssen, wie schamlos die herrschende Parteipolitik den vielbesungenen »Willen des Souveräns« beiseiteschiebt, ja, verhöhnt.
Der Skandalfall ist durchaus re- al denkbar. Sollte den SPD-Drahtziehern die Nummer aus dem Tollhaus gelingen, würde die Politik(er)verdrossenheit nie gekannte Ausmaße annehmen. Schon heute können die Älteren den Jüngeren doch immer weniger Aufbauendes erzählen über die Vorzüge einer demokratischen Ordnung, die von bestimmten Partei-»Größen« als Bolzplatz missbraucht wird, auf dem sie ihre Machtgelüste ausleben. Was eigentlich konnte und sollte Angela Merkel in dieser La- ge gestern ernsthaft mit Gerhard Schröder und Franz Müntefering besprechen, wenn die SPD-Führung die Unions-Schwesterfraktionen zwangsweise in zwei eigenständige Bundestagsgruppierungen zerlegen will?
Schröders Rech- nung sieht so aus: Mit einem Schlag wäre seine SPD mit 34,3 Prozent ganz vorn, die CDU stünde nur noch bei 27,8 Prozent vor FDP, Grünen und der PDS-Linkspartei - und auf den sechsten und letzten Platz strafversetzt würde mit nur noch mageren 7,4 Prozent die CSU.
Wohlgemerkt, diese schäbigen Planspiele sind sehr real und sehr wohl ernstgemeint. Münteferings gestriges »Dementi« war nicht einmal ein halbes. Die Wahrheit immerhin sagten - fast zeitgleich - dankenswerterweise Gernot Erler und Joachim Poß, beide Vize-Chefs der SPD-Bundestagsfraktion: Jawohl, wir wollen die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Parlament beseitigen.
Ein Schelm, wer da von einem offenbar skrupelfreien Betrugsversuch an der Demokratie und am Wähler spricht?

Artikel vom 23.09.2005